Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
er es durch die Wirren hindurch ein letztes Mal.
»Ich gebe Ihnen recht! Verstanden, Sandra? Ich gebe ihnen verdammt noch mal recht! Ich habe … habe selbst alte Lasten zu tragen, in Ordnung? Ich verstehe das! Aber dieser Chakren-Mist, dieser Behandlungskram … das ist nicht die Antwort! Es gibt keine schnelle Heilung. Es muss beschwerlich sein, sonst ist es nichts wert. Man muss daran arbeiten! «
Die Frau wurde totenstill. Die Welt schien anzuhalten und angespannt zu lauschen.
»Aber mein Sohn, Mr. Shaper. Mein Sohn kann das nicht tun.«
Die Äußerung war in ihrer Liebe und Hingabe so schlicht und einfach, dass Shaper spürte, wie seine selbst auferlegte Lähmung nachließ und die Krankheit angesichts dieser Empfindung zurückwich. Er stellte fest, dass er sich erneut aufrappeln konnte, und schleppte sich mit einem einzigen, mächtigen Schritt vorwärts.
Bevor er sich noch einmal bewegen konnte, wirbelte die Frau zurück herum.
»Ich werde ihn umbringen«, erklärte sie nüchtern, das Messer an Glass’ Kehle.
Shaper starrte sie an. Ein neues Zittern kroch von seinen Füßen nach oben.
»Ich glaube nicht, dass mich das noch kratzt«, sagte er.
Sandra lächelte fast. »Sie haben völlig recht. Kommen wir zur Sache, ja?«
Damit drehte sie sich unmöglich gelassen in einem anmutigen Bogen herum und brachte das Messer lotrecht über Freddies Herz in Anschlag.
»Nicht!«, brüllte Shaper, und seine Visionen siedeten mit neuer Eindringlichkeit. Sandras Stimme erreichte ihn durch Hurrikanwände.
»Böse«, flüsterte sie. »Verstehen Sie denn nicht? Ein aus … aus Gewalt und Abscheu gezeugtes Kind. Sein Fleisch ist verdorben, Mr. Shaper. Ohne jede Schuld seinerseits verkörpert er eine lebendige Sünde. Begreifen Sie das nicht?«
Sie beugte sich vor, um den Jungen auf den Kopf zu küssen, und flüsterte ihm seltsame Geheimnisse ins Ohr – »Lam, Vam, Ram, Yam, Ham, Aum …« Jede Silbe stieg in Shapers Augen wie eine zerlumpte, dunkelfleckige Motte empor. Rings um Freddie waren die Sinnesverzerrungen noch stärker, eine undurchdringliche Leere von Licht und Formen. Während Shaper hinsah, verdichtete sie sich, kristallisierte sich, und nacheinander erschien entlang des verbogenen Rückgrats des Jungen ein Raster von Lichtern gleich der Beleuchtung einer Rollbahn.
Ein Geistmotor, der tuckernd zum Leben erwachte.
Magie.
Halt’s Maul, Halt’s Maul, Halt’s Maul!
Irgendwo in einer Nebenwelt jenseits seiner Sinne stöhnte Tony Krampfhand zwischen seinem Schnarchen, gepeinigt von Albträumen. Näher am Herzen der Dunkelheit übergab sich Mary wie von einer gemeinschaftlichen Manie erfasst weiter geräuschvoll auf den Boden, und Vince …
Moment .
Vince bewegte einen Arm.
Solchermaßen angespornt versuchte Shaper ein letztes Mal, sich zu bewegen, seine Fesseln abzuschütteln und den Wahnsinn zu beenden. Aber die Krankheit erwies sich als zu stark. Siefrohlockte über ihre Befreiung, ungehindert von jeglichen chemischen Schranken und jeder spirituellen Salbung – und ihm wurde letztlich klar, dass er nicht länger dagegen ankämpfen konnte. Es war zu viel, eine zu große Last von Erinnerungen, eine zu dicke Suppe vergangener Sünden.
In einer ruhigen Lagune der Selbsterkenntnis vermutete er, tief in seinem Innersten von Anfang an gewusst zu haben, dass sie ihn letzten Endes besiegen würde.
Die Kette der Lichter entlang Freddies Körper begann zu pulsieren. Wie ein träges Schwingen, ein mechanischer Zyklus – bald heller, bald dunkler – wanderte eine langsame Welle von der Hüfte des Kindes zum Kopf empor. Die Sitar verfing sich in der Schwingung wie ein Hai in einem Netz aus Stacheldraht und zappelte den Streifen entlang.
»Er verdient etwas Besseres«, sagte Sandra. »Er verdient es, zu entfliehen.«
Und etwas erwachte. Shaper konnte es sehen.
Etwas Verdichtetes, etwas Eingerolltes, eine Spirale schlammiger Urenergie erwachte am Ansatz von Freddies Steißbein zu sich windendem Leben.
Kundalini.
Die Seelenschlange.
Sandra streckte den Arm zu ihrem Sohn, breitete sanft den Skalp ihres Vaters über sein Haar aus und rang schniefend eine Träne zurück.
»Ah« , sang sie.
Sahasrara . Das Wort hallte dröhnend durch die Welt.
Über Freddies Kopf tauchte ein für Shapers Augen schmerzlich grelles Licht auf. Stärker, heller, klarer als der Rest; ein dichter, violetter Strudel, der die anderen Lichter irgendwie in sich sog und mit jedem Pulsieren durch seine Muskeln pochte.
Er sah,
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