Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
dass Vince in den Schatten mit sich selbst und seiner Erschöpfung unter dem Gewicht seines toten, bluttriefenden Lovers kämpfte. Eine Träne war dem Schrank von einem Mannüber die Wange gekullert, und Shaper bemerkte mit plötzlicher Erregung, dass Vince ihn anstarrte, die Augen konzentriert und klar.
Schau , sagten sie. Sieh her!
Gletscherlangsam kroch Vinces Hand in seine Jackentasche.
Shaper spürte, wie die Welt aufhörte, sich zu drehen. Er fühlte, wie von der Sitar jeder Anschein von Musikalität und von der Tabla jede Spur von Rhythmus abfielen und sich die Instrumente in ein blankes Chaos verwandelten, eine fundamentale Vibration im Mutterfels der Realität. Der Raum knisterte und schäumte vor unaussprechlicher Macht, und Shaper – geschlagen, überwältigt, hilflos – sackte zusammen wie eine Marionette, deren Schnüre durchtrennt wurden.
Und ergab sich seiner Krankheit.
Irgendwo sagte Sandra: »Sei frei, mein Sohn.« Damit hob sie das Messer zum Todesstoß an. »Tritt in Samadhi ein, und sei frei.«
Der Wurm im Rückgrat des Jungen rollte sich mit einem Zischen auseinander, und in einem anderen Universum kam Vinces Hand langsam aus der Jackentasche hervor.
Shaper hörte, wie Freddie einen einzigen, kläglichen Laut der Angst hervorstieß. Die Schlange pulsierte wie ein neugeborener Stern, wie der Tod von allem, wie eine in Fetzen gerissene Welt, dann raste, schoss sie die Kette der gestohlenen Lichter entlang. Geradewegs auf seinen Kopf zu.
Shaper sah die Spannung in Sandras Arm.
Vince knurrte tief in der Kehle. Blut sprenkelte sein Kinn, und mit einem Keuchen unmöglicher Anstrengung – und unermesslicher Wut – schob er schlitternd etwas Helles über den Plastikboden. Direkt zu Shaper.
Wie vom Zorn seines Freundes durchwirkt gab Shaper in jenem schier endlosen Augenblick der Resignation den Versuch auf, sich der Krankheit zu verweigern, und ließ sich stattdessen von ihr verschlingen. Dabei dachte er an eine andere, nur Minuten zurückliegende Konfrontation zurück, die sich anfühlte wie aus einem anderen Leben. An einen Moment, in dem er Fosseys Bann und der Lähmung einer Leichenkerze entronnen war, indem er seiner eigenen Raserei freien Lauf gelassen hatte.
Indem er sich geweigert hatte, gegen sich selbst anzukämpfen.
Lass los .
Er ließ sich vom Zittern so vollkommen verzehren, dass es sich ausbrannte, zur Ruhe kam wie gegenläufige Wellenformen.
Shaper ließ die Schrecken der Vergangenheit seine Sicht so vollends besudeln, dass sie von Schatten zu Schattierungen mutierten, zu einer heimlichen Glasur, die jede Form durchdrang und vertiefte, ohne sie zuerst zu vernebeln.
Er ließ das Sinnesgewirr zu seinem mächtigsten Crescendo anschwellen, störte sich nicht länger daran, Geräusche zu sehen und Anblicke zu schmecken. Er gab sich damit zufrieden, dass jeder knisternde Eindruck unabhängig von seinem Geisteszustand wichtig – ehrlich – war.
Er ließ sein Herz stöhnen und unregelmäßig schlagen und lernte, es zu lieben.
Man kann vor seiner Schuld nicht weglaufen , dachte er.
Also geh verdammt noch mal darauf zu.
Die Starre fiel von seinen Armen ab.
Sandra setzte zum Todesstoß an.
Und Shaper bewegte sich schneller als je zuvor, hob das Springmesser auf, das sein Freund ihm zugeworfen hatte – meines! –, und ließ die Klinge herausschnellen.
Und er warf das Messer.
Alles in einer perfekten, durchgängigen Bewegung, einer goldenen Schliere, die in ihrer Poesie und Schönheit plätschernd in seine gekenterte Psyche eindrang. Und dann …
Dann erstarben die Wahnvorstellungen.
Die Klinge traf Sandra im Gesicht und riss ihre Wange auf. Die Frau wurde zurückgeschleudert, und ihr eigenes Messer fiel unbenutzt zu Boden. Sie schrie, schüttelte sich und tobte, pralltegegen Glass’ Stuhl, brachte die Kerzen durcheinander, heulte wie ein Tier. Während das Zittern abfloss wie schlammiges Wasser in einen Kanal, beobachtete Shaper in verblassenden Farbtönen, wie ihr Körper aus dem Schnitt in ihrem Gesicht Blitze und Lava ausspie.
Nach und nach beruhigte sie sich. Nach und nach wurde Shapers Blick klarer, und während er spürte, wie Mary ein Schluchzen unterdrückte und Vince schließlich mit gebrochenem Herzen ohnmächtig zusammensackte, beobachtete er sie stumm weiter. Er starrte finster ins Leere, als Blut ihre Kleidung durchnässte.
Langsam griff sie nach dem Messer, das sie fallen gelassen hatte.
Bevor Shaper den Körper anspannen konnte, um zu
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