Der Biss der Schlange: Thriller (German Edition)
wurde, was sie tat, und sie genoss sogar einen perversen Schauder der Befriedigung über ihre eigene Klugheit.
Allein in einer Dunkelheit voll glänzendem Plastik und ländlichen Gerüchen, gefesselt und mit schmerzendem Kiefer wegen des Ballknebels aus Gummi in ihrem Mund, folgerte sie ihr verhängnisvolles Schicksal mit derselben nüchternen Logik, mit der sie sich die steile Karriere aufgebaut hatte, mit der sie so gern prahlte. Ihr gesamtes Leben war dermaßen von gewinnsüchtigem Selbstvertrauen und eisernem Willen gekennzeichnet, dass ihr dritter Ehemann scherzhaft gemeint hatte, sie könne eine Kugel mit ihrem finsteren Blick ablenken. Und dennoch zitterte sie nun in einem rosa Gymnastikanzug inmitten der Trümmer ihrer vernichteten Würde.
Und wusste, dass sie sterben würde.
Durch eine in der Düsternis kaum erkennbare Eisentür drangen die weinerlichen Klänge einer schlecht aufgenommenen Sitar, deren durchdringend hohe Töne vom weichen, fleischigen Trommeln einer Tabla begleitet wurden. Vereinzelt konnte sie zwischen der an- und abschwellenden Musik aus dem Raum nebenan ein leises Rascheln und ein feuchtes, vorfreudiges Glucksen hören.
Ihr Killer, der sich auf den Mord vorbereitete.
Letztlich hatte die Art ihrer Fesselung den Ausschlag gegeben. Bevor sie während all der Traumata, all der Schrecken undErniedrigungen des Abends eingehender darüber nachgedacht hatte, hatte sie eine Fassade der Unverwüstlichkeit aufrechterhalten können, hatte an ihrer Weigerung zu verzweifeln festgehalten. Der Mann mit der Kapuze, der in ihr Heim eingebrochen war, die Klinge geschwenkt und sie mit stummen Gesten gezwungen hatte, in ihren knalligen Jogginganzug zu schlüpfen …
Und dann die Haube über ihrem Kopf, die Fahrt in einem gepolsterten Van, das endlose Rütteln und Schütteln und Grauen. In jeder Phase hatte sie sich die Verzweiflung vom Leib gehalten, indem sie sich auf die Bandbreite der Möglichkeiten konzentriert hatte, die noch immer hinter diesem Rätsel stehen konnten. Die Chance, dass beispielsweise Lösegeldforderungen unterwegs zu Exehemännern und Großaktionären waren oder dass sich in diesem Augenblick vielleicht sogar noch nicht zu hörende Sirenen näherten. Oder auch nur die in der verhassten Grube ihrer Seele lauernde Hoffnung, ihr Entführer könnte sich lediglich als degenerierter, etwas umständlicher Vergewaltiger entpuppen, dessen Gelüste befriedigt oder zumindest hinausgezögert werden konnten.
Aber nein. Die Art ihrer Fesselung hatte all das vom Tisch gewischt. Im Kontext all dessen, was in dieser Nacht bisher geschehen war, stachen sie für Alice wie Leuchtfeuer aus dem Morast der Verwirrung hervor, die letzten fehlenden Daten zur Vervollständigung der Gleichung. Die Art ihrer Fesselung hatte ihr Schicksal so unwiderruflich besiegelt, wie die Klinge sie zweifellos töten würde.
Jede ihrer Hände steckte in einem Boxhandschuh, der mit weichen Bändern und Schaum so angepasst worden war, dass er ihre Arme bis zu den Ellbogen umhüllte. Durch Haken an den Knöcheln verliefen Lederriemen, die sie an dem gepolsterten Sitz hinter ihrem Rücken sicherten. Auf ähnliche Weise waren Steppdeckenstreifen mit Zwangsjackenschnüren um ihre Fußgelenke gewickelt, reichten bis zu den Knien hoch und wurden von gummibeschichteten Ketten am Stuhlrahmen gehalten. Alles präsentierte sich tadellos genäht und abgedichtet, sauber und ohne Flicken.
Dass die Anordnung dazu diente, eine Flucht zu verhindern, war von Anfang an offensichtlich, wenngleich Alice trotzdem jede Naht methodisch getestet hatte. Was ihr aber erst langsam bewusst wurde, war die geradezu zwanghafte Sanftheit , die davon ausging. Es gab keine harten Kanten, keine reibenden Schnüre, die ihr rötliche Linien um die Knöchel oder um die Knie ins Fleisch schnitten. Es handelte sich um eine sanfte Art der Dominanz, um einen milden, gepolsterten Druck, und die abartige, vermeintliche Harmlosigkeit der Vorrichtung hatte ihre wahre Bedeutung allzu lang verschleiert.
Nun hatte Alice sie durchschaut.
Die Anordnung diente eigens dazu, keine Male auf ihrer Haut zu hinterlassen. Keine Anzeichen von Gefangenschaft, keine Spur des Grauens dieser Nacht.
Warum sollte jemand solch penible Sorgfalt walten lassen, wenn die Gefangenschaft nur vorübergehender Natur wäre – die einer Geisel, die auf das Eintreffen ihres Lösegelds wartete, etwa? Warum solche an Besessenheit grenzende Schonung, wenn Folter und Vergewaltigung die einzigen
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