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Der blaue Express

Der blaue Express

Titel: Der blaue Express Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Nachdem der Zug Lyon verlassen hatte und Sie das Abteil von Madame Kettering betreten haben…»
    «Was soll das?»
    Poirot blickte sie mit mildem Vorwurf an und begann aufs Neue.
    «Als Sie Madame Ketterings Abteil betreten hatten…»
    «Das habe ich nie getan.»
    «Und sie dort liegen sahen…»
    «Ich habe das Abteil nicht betreten, das sage ich Ihnen doch.»
    «Ah, sacré!»
    Er schrie sie so wütend an, dass sie sich vor ihm duckte.
    «Mich wollen Sie anlügen? Ich sage Ihnen, was geschehen ist, so genau, als ob ich dabei gewesen wäre. Sie sind in das Abteil gegangen und haben sie tot vorgefunden. Ich sage Ihnen, ich weiß es. Mich anzulügen ist gefährlich. Seien Sie vorsichtig, Mademoiselle Mirelle.»
    Unter seinem Blick zuckten ihre Augen und senkten sich.
    «Ich – ich habe doch nicht…», begann sie unsicher und brach ab.
    «Ich frage mich nur eines», sagte Poirot, «nämlich, ob Sie das, was Sie suchten, gefunden haben, Mademoiselle, oder ob…»
    «Ob was?»
    «Oder ob Ihnen jemand zuvorgekommen war.»
    «Ich antworte auf keine Frage mehr», kreischte die Tänzerin. Sie riss sich von Poirot los, der ihr die Hand auf den Arm gelegt hatte, und warf sich zu Boden, wo sie kreischte und schluchzte. Eine erschreckte Zofe kam herbeigelaufen.
    Hercule Poirot zuckte mit den Schultern, hob die Brauen und verließ ruhig das Zimmer.
    Aber er schien zufrieden zu sein.

Dreißigstes Kapitel

Miss Viners Urteil
     
    K atherine blickte durch Miss Viners Schlafzimmerfenster ins Freie. Es regnete, nicht stark, aber mit ruhiger, gleichmäßiger Beharrlichkeit. Vor dem Fenster erstreckte sich ein schmaler Vorgarten mit einem Weg hinab zum Tor und zu beiden Seiten säuberliche Blumenbeete, in denen später Rosen und Nelken und blaue Hyazinthen blühen würden.
    Miss Viner lag auf einem großen viktorianischen Bett. Sie hatte ein Tablett mit den Überbleibseln des Frühstücks beiseite geschoben, öffnete eben ihre Post und gab beißende Kommentare dazu ab.
    Katherine hielt einen geöffneten Brief in der Hand und las ihn zum zweiten Mal. Er kam aus dem Ritz in Paris und lautete folgendermaßen:
     
    Chère Mademoiselle Katherine
    Ich hoffe, dass Sie gesund sind und der englische Winter Sie nicht allzu sehr deprimiert. Ich setze meine Nachforschungen mit ä u ßerster Sorgfalt fort. Glauben Sie ja nicht, dass ich hier Ferien mache. Bald werde ich nach England kommen und hoffe auf das Vergnügen, Sie wieder zu sehen. Ich werde Sie doch sehen, oder? Bei meiner Ankunft in London werde ich Ihnen schreiben. Sie haben doch nicht vergessen, dass wir in dieser Affäre Kollegen sind? Aber ich glaube, das wissen Sie sehr wohl. Seien Sie, M a demoiselle, meiner Hochachtung und Ergebenheit versichert.
    Hercule Poirot
     
    Katherine schnitt eine kleine Grimasse. Es war, als ob etwas an diesem Brief ihr Rätsel aufgebe und sie beunruhige.
    «Ausgerechnet ein Picknick für Chorknaben», brummelte Miss Viner. «Tommy Saunders und Albert Dykes sollten aber nicht mitkommen, und ich unterstütze das Ganze erst, wenn sie nicht dabei sind. Was die beiden Jungs sonntags in der Kirche machen, weiß ich nicht. Tommy hat ‹O Herr, erlöse uns geschwind› gesungen und dann den Mund nicht mehr aufgemacht, und wenn Albert Dykes nicht die ganze Zeit Pfefferminzbonbons gelutscht hat, dann ist meine Nase nicht mehr das, was sie immer war und immer noch ist.»
    «Ich weiß, sie sind schrecklich», stimmte Katherine zu.
    Sie öffnete einen zweiten Brief, und eine plötzliche Röte stieg in ihre Wangen. Miss Viners Stimme im Zimmer schien in weite Fernen zu rücken.
    Als sie sich ihrer Umgebung wieder bewusst wurde, gelangte Miss Viner eben ans triumphale Ende einer langen Rede.
    «Und ich sage zu ihr: ‹Überhaupt nicht. Zufällig ist Miss Grey Lady Tamplins Kusine.› Na, was halten Sie davon?»
    «Haben Sie meine Schlachten für mich ausgetragen? Das war sehr nett von Ihnen.»
    «Sie können es so nehmen, wenn Sie wollen. Für mich hat ein Titel keinen besonderen Wert. Pfarrersfrau oder nicht, diese Frau ist eine Katze. Anzudeuten, Sie hätten sich Ihren Weg in die Gesellschaft erkauft!»
    «Vielleicht hatte sie gar nicht so Unrecht.»
    «Sehen Sie sich doch an», fuhr Miss Viner fort. «Sind Sie etwa als hochnäsige feine Dame zurückgekommen, was ja durchaus denkbar gewesen wäre? Nein, da sitzen Sie, so vernünftig wie eh und je, in guten dicken Wollstrümpfen und Ihren vernünftigen Schuhen. Erst gestern habe ich mich mit Ellen darüber

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