Der blaue Stern
bereuen? Eines Tages werde ich gegen das Chaos kämpfen mit allen meines Ordens, vielleicht sogar an der Seite Rabbens, wenn er bis dahin nicht ermordet wird. Das allein rechtfertigt mein Dasein und mein Geheimnis. Doch nun muß ich Freistatt verlassen, und wer weiß, wann der Zufall mich wieder hierher verschlägt? Küß mich zum Abschied, meine Schwester.«
Myrtis stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte die Lippen auf die des Magiers.
»Auf Wiedersehen, Lythande. Möge die Göttin immer bei dir sein und dich bis ans Ende beschützen. Lebwohl, meine geliebte Schwester.«
Dann legte Lythande den Waffengürtel um und verließ ungesehen die Stadt Freistatt, gerade als der Morgen dämmerte. Die aufgehende Sonne dämpfte das Glühen des blauen Sterns auf ihrer Stirn. Nicht einen Blick warf sie zurück.
Masha
Die Spinnen des Purpurmagiers
Philip Jose Farmer
Es war die Woche der großen Rattenjagd in Freistatt.
In der folgenden Woche tötete man alle Katzen, derer man habhaft werden konnte, und nahm sie aus.
In der dritten Woche wurden die Hunde umgebracht und aufgeschlitzt.
Masha zil-Ineel war eine der wenigen in der Stadt, die an der Rattenjagd nicht teilnahmen. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß eine Ratte, sei sie auch noch so groß - und es gab wahrhaftig große Ratten in Freistatt - einen Edelstein von dieser Größe verschlucken könnte.
Als sich jedoch das Gerücht verbreitete, daß eine Katze beim Verzehr einer Ratte beobachtet worden war, und sich diese Katze anschließend merkwürdig benahm, hielt sie es für ratsam, wenigstens so zu tun, als ob sie Katzen jage. Hätte sie es nicht getan, wären Fragen gestellt worden. Man könnte glauben, sie wüßte etwas, was sonst keinem bekannt war, und dann wäre sie die Gejagte.
Sie würde man jedoch nicht so schnell töten wie die Tiere, man würde sie foltern, bis sie das Versteck des Juwels preisgab. Dabei kannte sie es gar nicht. Sie war sich nicht einmal sicher, ob es diesen Smaragd überhaupt gab.
Es war jedoch jedem bekannt, daß Benna nus-Katarz ihr von dem Juwel erzählt hatte. Das verdankte sie ihrem betrunkenen, äußerst geschwätzigen Ehemann, Eevroen.
Vor drei Wochen, in einer sehr dunklen Nacht, kehrte Masha aus dem Ostviertel der Stadt, in dem die reichen Händler lebten, nach Hause zurück, sie hatte dort als Hebamme gearbeitet. Mitternacht war schon vorbei, aber Wolken verdeckten den Himmel, und sie konnte daher nicht genau feststellen, wie spät es war. Die zweite Frau von Shoozh, dem Gewürzhändler, hatte ihr viertes Kind geboren. Masha selbst war bei der Entbindung zugegen, während Doktor Nadeesh im angrenzenden Zimmer saß, hinter der halb geschlossenen Tür, und ihrem Bericht lauschte. Es war Nadeesh nicht erlaubt, seine Patientinnen entblößt zu sehen, tabu waren vor allem die Brüste und die Scham. Stellten sich bei einer Geburt Schwierigkeiten ein, beschrieb Masha sie ihm und er wies sie an, wie weiter zu verfahren wäre.
Masha ärgerte sich darüber, denn die Ärzte steckten die Hälfte der Bezahlung ein, und waren selten von Nutzen, meist eher hinderlich.
Die halbe Bezahlung war jedoch besser als gar keine. Wenn die Frauen oder Konkubinen der Reichen ebenso abgehärtet und unbekümmert wären, wie die armen Frauen, die ihre Kinder ohne Hilfe dort bekamen, wo sie von den Wehen überrascht wurden, wäre Masha nicht in der Lage, ihre zwei Töchter, sich selbst, ihre kranke Mutter und ihren faulen, stets betrunkenen Ehemann zu ernähren. Das Geld, das sie sich verdiente, indem sie den wohlhabenderen Frauen die Haare legte, Leuten auf dem Marktplatz die Zähne zog und falsche Zähne herstellte, reichte längst nicht aus. Aber als Hebamme verdiente sie gerade soviel hinzu, daß ihre Familie nicht hungern mußte.
Sie hätte gerne mehr verdient und auch den Männern auf dem Marktplatz die Haare geschnitten, aber Gesetz und alte Sitte ließen das nicht zu.
Gleich nachdem sie die Nabelschnur des Neugeborenen verbrannt hatte, um sicherzugehen, daß die Dämonen sie nicht stahlen, und sich ihre Hände rituell gewaschen hatte, verließ sie das Haus von Shoozh. Seine Wachen, die sie kannten, ließen sie ohne weiteres passieren, und auch die Wächter des Ostviertels hielten sie nicht auf. Ein paar konnten es sich jedoch nicht verkneifen, ihr anzubieten, mit ihnen das Lager für die Nacht zu teilen.
»Ich kann es viel besser als dein besoffener Mann!« feixte einer.
Masha war froh, daß die Wächter ihr glühendes Gesicht, dank
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