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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod
Autoren: Boris Meyn
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Steinlager der Baudeputation. Aus der Ferne wirkten die gestapelten Baustoffe wie eine Miniaturausgabe der diesseitigen Bebauung. Sören fuhr weiter bis zum Bullerdeich, wo sich die enge Bebauung schlagartig auflöste. Am Brackdamm endete das Straßenpflaster. Ab hier war die Umgebung ländlich geprägt, und außer vereinzelten Betrieben und den im Schlick der Bille festsitzenden Lastkähnen und Schuten erinnerte nichts an die Nähe zur Stadt. Bis auf ein kleines Rinnsal war das Flussbett ausgetrocknet. Anders als im unweit gelegenen Hammerbrook, wo alles von rechtwinklig angeordneten Kanälen durchzogen war, deren Wasserstand mit Schleusen und Toren reguliert werden konnte, regelte hier allein die Natur die Schiffbarkeit der Wasserstraßen. Und die anhaltende Hitze hatte den Verkehr gänzlich zum Stillstand gebracht.
    Sören lenkte den Wagen zu einer Pferdetränke. Während er dem Tier mit einem feuchten Lappen denSchweiß vom Hals rieb, beobachtete er die Kinder, die vor der Badeanstalt lärmend im brackigen Schlick des Flusses herumtobten und sich gegenseitig mit Matsch bewarfen. Nachdem das Pferd getrunken hatte, lenkte er den Wagen über den Hammer Deich bis zum Borstelmannsweg. Das Bild, das sich ihm bot, nachdem er in die Straße eingelenkt hatte, passte ganz und gar nicht in die ländliche Umgebung. Die Straße wirkte so, als hätte man einfach zwei Häuserzeilen aus dem Hammerbrook hierher verfrachtet. In der Stadt hatte man sich an den Anblick der hohen Zinshäuser ja gewöhnt, aber hier auf dem Land wirkten die Bauten sehr befremdlich. Rechnete man etwa damit, dass sich die städtische Bebauung bis hierher ausbreiten und an die vorhandenen Bauten anschließen würde? Kein Zweifel, hier hatte ein gewiefter Bauherr die Bodenspekulation auf die Spitze getrieben. Wenn man bei den großen Blöcken des Hammerbrook noch versucht hatte, mit etwas Bauschmuck an den straßenseitigen Fassaden darüber hinwegzutäuschen, dass die Höfe dahinter nur aus grau verputzten, kargen Wänden bestanden, so hatte man sich hier nicht einmal diese Mühe gemacht. Auffällig war, dass die Häuser anscheinend keine Keller hatten. Wahrscheinlich lag der Straßenzug so tief, dass bereits ein starker Regenguss oder ein Gewitter ausreichte, um das gesamte Areal unter Wasser zu setzen. Zumindest deutete der Zustand der unbefestigten Straße darauf hin. Sören dirigierte den Wagen vorsichtig an den tiefen Kuhlen, die wohl ausgetrocknete Matschlöcher waren, vorbei. Am Straßenrand hatte man breite Holzbretter ausgelegt, die anscheinend dazu dienten, den Weg bei Regen für Fußgänger überhaupt passierbar zu machen. Ein unangenehmer Geruch stieg ihm in die Nase. Sörenblickte sich um. Nirgends war eine Fabrik oder Produktionsstätte auszumachen, die den Gestank erklärt hätte. Er fuhr im Schritttempo weiter. Das gesuchte Haus war schnell gefunden. Man hatte die Hausnummern einfach mit weißer Farbe an die Fassaden gemalt. Sören zählte fünf Stockwerke.
    Die Frau im Erdgeschoss, die Sören nach Inge Bartels gefragt hatte, blickte ihn nur verständnislos an, murmelte etwas in einer fremden Sprache, die er noch nie zuvor gehört hatte, und schloss die Tür mit einem Knall. Was er durch den Türspalt gesehen hatte, reichte aus, um sich die Zustände in den anderen Wohnungen vorstellen zu können. Sören hatte sich schon gefragt, wohin all die Türen auf den Absätzen des Treppenhauses führen mochten. Jetzt ahnte er es. Das riesige Gebäude bestand anscheinend aus einer großen Anzahl kleinster Wohnungen. Zur Seite zweigten je zwei Türen ab, die Längsseite des Treppenabsatzes hatte fünf Türen. Die mittlere davon stand offen. Ein kleiner Junge mit zotteligem Haar blickte Sören aus großen Augen an. Er saß auf einem völlig verunreinigten Closet und zog ununterbrochen an der langen Kordel des Spülkastens. Das Wasser strömte auf halber Höhe des gebrochenen Fallrohres heraus, lief die Wand herunter und vermengte sich mit auf dem Boden liegenden Kotresten. Sören wandte sich angeekelt ab. Nirgends gab es Namensschilder. An einigen Türen hatte man die Namen der Bewohner ans Holz des Rahmens geschrieben – vier, fünf oder sechs auf einmal. Viele davon waren durchgestrichen. Inge Bartels war nicht darunter. Es tropfte vor ihm auf den Boden. Sören blickte nach oben: Über ihm an der Decke breitete sich ein brauner Fleck aus. Als er den nächsten Stock erreicht hatte, sah er den Grund dafür.Das Closet war hier ganz zerbrochen, aus dem
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