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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod
Autoren: Boris Meyn
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Knie der Schüssel lief unaufhörlich eine bräunliche Flüssigkeit, die sich auf den Holzdielen des Treppenabsatzes zu einer kleinen Pfütze gesammelt hatte. Es stank bestialisch nach Jauche und Moder.
    «Kommen Sie vom Amt?», fragte die ältere Frau, die auf Sörens Klopfen hin die Tür geöffnet hatte.
    Er schüttelte den Kopf. «Nein, gute Frau. Ich suche eine gewisse Inge Bartels. Sie soll hier im Haus wohnen.»
    Die Frau machte ein fragendes Gesicht.
    «Eine Frau, die wahrscheinlich mehrere Kostkinder behütet hat», erklärte Sören.
    «Ach die.» Sie machte eine abfällige Handbewegung. «Behütet ist aber übertrieben. Keine Ahnung, wie die hieß. Gab nur Ärger mit der   …» Sie schüttelte den Kopf. «Dritter Stock, zweite Tür. Wohnt aber nicht mehr da. Im letzten Winter ist sie abgehauen.»
    «Sie wissen nicht vielleicht, wo die Frau hingezogen ist?»
    «Gott bewahre. Mit solchen will ich nix zu tun haben.» Die Frau blickte auf die Pfütze neben Sörens Schuhen.
    «Das Closet nebenan», sagte Sören. «Es ist defekt. Was war die Frau Bartels denn für eine?»
    «Na, defekt ist hübsch gesagt. Hin ist das. Alles nur Schrott hier», fluchte die Frau. «Warten schon seit dem Märzen, dass jemand kommt. Kommt aber keiner. Aber die Miete, die wird pünktlich kassiert.» Irgendwie schien sie sich nicht von der Idee abbringen zu lassen, dass Sören in Wahrheit doch vom Amt kam und möglicherweise für Abhilfe sorgen konnte. «Woll’n Se mal sehn, was das hier für ’ne Bruchbude is?» Sie öffnete dieTür und machte eine einladende Handbewegung. Aber treten Se mir nicht den Schiet rein. Ich habe gerade gefeudelt!»
    Sören putzte sich die Schuhe auf einem Lappen hinter der Tür ab und betrat die Wohnung. Sie bestand aus zwei winzigen, höchstens zehn Quadratmeter messenden Zimmern sowie einer kleinen Küche, die dem Anschein nach auch als Aufenthaltsraum und Esszimmer diente. Es war der einzige Raum mit einem Fenster. Über der Herdstelle waren mehrere Drähte durchs Zimmer gespannt, an denen Wäsche zum Trocknen hing. Sören trat einen Schritt zurück, als er in einer Ecke des Raumes einen Mann auf einer Matratze liegen sah.
    «Das is Otto, der merkt nix», erklärte die Frau. «Mal wieder voll wie eine Haubitze!» Sie deutete an die Decke, wo sich ein armdicker Spalt quer durch den Raum zog. «Ich warte nur darauf, dass die ganze Schose runterkommt. Nur Bruch hier. Da oben wohnen sechs Leute im Zimmer. Mir rieselt jeden Tag der Putz in die Töpfe.»
    «Sechs Leute?» Sören blickte sich um und versuchte sich das Gedränge vorzustellen, wenn sechs Menschen auf so engem Raum lebten.
    «Einlogierer, versteht sich», erklärte die Frau. «Arbeiter aus dem Osten. Ich war einmal oben, weil mir zu viel Radau war. Was da für Zustände herrschen. Sie machen sich keine Vorstellungen. Alles voller Fliegen und Brummer! Aber irgendwie muss man die 300   Mark Jahresmiete ja zusammenbringen. Die meisten hier im Haus nehmen zusätzlich Untermieter auf.»
    Sören schüttelte den Kopf. Er überschlug die Anzahl der Zimmer je Stockwerk. Wenn in jeder Wohnung nur vier Personen lebten, dann waren das bereits mehr als 30Menschen je Stockwerk. «Und das mit nur einem Abort auf der Etage?»
    «Die meisten benutzen ja schon wieder die Abtritte hinten auf dem Hof», sagte die Frau. «Der Gestank war eh kaum zu ertragen. Der Inhalt der Wasserclosets wird ja in die Gräben hinter dem Haus geleitet. Schauen Sie!» Die Frau öffnete das kleine Küchenfenster und deutete auf die Wiese hinter dem Haus. «Keine zwanzig Meter hinter dem Hof läuft der Graben lang. Die Güllerinne. Die alten Abtritte sind zwar dunkel und voller Fliegen, aber zumindest stinkt’s in der Straße nicht mehr so.»
    Sören erinnerte sich an den stechenden Geruch, der ihm sofort aufgefallen war, als er in den Borstelmannsweg eingebogen war. Unglaublich, dass diese Häuser von der Baupolizei genehmigt worden waren. Nicht nur der Zustand der sanitären Anlagen war katastrophal. Das ganze Gebäude wirkte unsolide konstruiert und äußerst schlampig gebaut. Die Stärke der Decken war viel zu schwach für die Vielzahl der Menschen, die hier lebten, und Sören hatte schon länger keine Wohnung mehr betreten, deren Räume so wenig Tageslicht abbekamen. Nicht einmal eine Luke zum Hofschacht gab es hier. «Sie wollten mir etwas über Frau Bartels erzählen.»
    «Ich sag doch, ich weiß nicht, wie das Weib hieß», brummte die Frau. «Aber die war schon schlimm. Hat
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