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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Irgendetwas stimmt da nicht. Ich mache mir ernsthaft Sorgen, wenn das so weitergeht.»
    «Flecktyphus?»
    «Keine Flecken. Weder im Gesicht noch in den Handinnenflächen oder auf den Fußsohlen. Auch keine Darmblutungen. Einfach nur Erbrechen und wässriger Durchfall. Cyanose, die Haut blau verfärbt und wellig. Totale Dehydrierung, Anurie, Extremitäten eiskalt   …» Doktor Rieder blickte Sören an. «Na, woran erinnert Sie das Krankheitsbild?»
    Sören dachte an die Worte von Hugo Simon, die ähnlich sorgenvoll geklungen hatten. Er selbst hatte während seiner Zeit als Arzt keinerlei Erfahrungen mit Choleraerkrankungen sammeln können, und über den neuesten Stand der medizinischen Forschung war er auch nicht informiert. Während seines Studiums war der Kommabazillus,den Robert Koch nachgewiesen hatte, noch nicht bekannt gewesen. Damals hatten alle an Pettenkofer und dessen Miasmalehre geglaubt. Viele Ärzte waren ja immer noch der Meinung, die Cholera entstehe ähnlich wie ein Pilz aus ungesunder Luft und Ausdünstungen des Bodens. Die Symptome der Krankheit waren Sören hingegen bekannt. «Vibrio Cholerae», murmelte er undeutlich. «Cholera asiatica.»
    Man konnte durch den Vollbart hindurch erkennen, wie Rieder die Lippen aufeinander presste. «Wir wollen es nicht hoffen», sagte er schließlich. «Vor allem, weil unsere neue Krankenhausleitung immer noch ein begeisterter Anhänger von Pettenkofers antikontagionistischer Theorie ist. Seit Hauptmann Weibezahn hier die Leitung übernommen hat, ist preußische Ordnung ins Haus eingezogen. Man merkt, dass der Mann vorher für ein Militärlazarett zuständig war   … Und wo Sauberkeit und militärische Ordnung vorherrschen, da gibt’s keine Cholera!» Der Arzt schlug übertrieben laut die Hacken seiner Schuhe zusammen. «Aber ich schweife ab. Sie kamen ja mit einem ganz konkreten Anliegen zu mir. Bedauerlicherweise erinnere ich mich an die Frau sogar ganz genau. Die hatte immer einen ganzen Haufen Mädchen im Haus. Sie selbst arbeitete wohl bei einem Beherberger. Ich musste mehrfach Meldung an den Kreisphysikus machen   … Schwere Misshandlungen, ein stümperhaft ausgeführter Schwangerschaftsabbruch – das Mädchen war erst dreizehn und wäre fast verblutet   …»
    «Erinnern Sie sich an die Namen der Kinder?»
    «Nein, tut mir Leid. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob mir die Namen überhaupt genannt wurden. Wenn ich gerufen wurde, dann ging es den armen Kreaturen meistso schlecht   … Immer nur solche Sachen. Furchtbar. Wie kann man einer solchen Frau nur Kinder anvertrauen?»
    Es klopfte an der Tür. Im gleichen Augenblick wurde sie geöffnet, und eine Krankenschwester steckte den Kopf herein. «Herr Doktor! Es ist dringend. Schon wieder zwei!»
    Doktor Rieder reichte Sören die Hand. «Sie entschuldigen, aber Sie sehen ja, ich werde gebraucht. Ich hoffe, ich konnte Ihnen ein wenig behilflich sein   …» Sörens Antwort bekam er schon nicht mehr mit, so schnell war er zur Tür hinaus.
     
    Bei der Sittenpolizei, der 3.   Abteilung der Hamburger Polizei, gab es sogar eine Akte zu Inge Bartels. Allerdings konnte man Sören auch dort nicht weiterhelfen, was den momentanen Aufenthaltsort der Frau betraf. Die Einträge und Protokolle reichten zurück bis zur Reichsgründung. Dem Anschein nach war es jedoch nie zu einer Anklage gekommen. Zumindest gab es keine entsprechenden Vermerke. Bei den Einträgen handelte es sich anfangs um den Verdacht der Gelegenheitshurerei sowie der gewerbsmäßigen Prostitution, später tauchte auch der Vorwurf der Koberei und Zuhälterei auf. Seit etwa zehn Jahren stand der Name Bartels dann nur noch im Zusammenhang mit verschiedenen Vergnügungslocalitäten, wo sie als Bedienung angetroffen worden war. Der letzte Eintrag lag zwei Jahre zurück. Zu der Zeit war Inge Bartels Wirtin in einem Local namens «Rote Rose» gewesen. Vergnügungslocale mit derartigen Namen waren in Hamburg meist nichts anderes als Bordelle. Die waren zwar seit der Reichsgründung und dem neuen Strafgesetzbuch nach verboten, aber anders als in den meisten deutschen Städten ging man mit einschlägigenBetrieben in Hamburg sehr nachsichtig um, da es einfacher war, feste Etablissements unter Kontrolle zu halten als die versteckte Hurerei in den Gassen und Gängevierteln. Ganz unterbinden konnte man das Gewerbe so oder so nicht. Seit zwei Jahren gab es keine Einträge mehr in der Akte, und die «Rote Rose» existierte auch nicht mehr. Sören machte sich

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