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Der blaue Tod

Der blaue Tod

Titel: Der blaue Tod
Autoren: Boris Meyn
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Handschuhe, in der Armbeuge trug er den großen schwarzen Senatorenhut. Das Bildnis war lebensgroß – und durchaus realistisch. Liebermann zeigte kein Idealbild, sondern einen Greis, dessen Haar so weiß war wie die Halskrause des Habits und dessen gebeugter Körper seinem hohen Alter entsprach. «Ich kenne seinen Gesundheitszustand nicht, aber er ist eben schon recht betagt.» Sören lachte. «Lassen Sie mich raten: Es gefällt ihm nicht sonderlich?»
    Lichtwark seufzte. «Schlimmer noch! Seine Familie verbietet, dass das Bildnis in die Galerie gehängt und der Öffentlichkeit gezeigt wird. Man ist empört.»
    «Petersen ist fast neunzig», ließ Martin sich vernehmen. «Was erwartet man denn, wenn man sich in dem Alter porträtieren lässt? Das Bildnis eines vor Kraft und Tatendrang strotzenden Jünglings?»
    «Auch wenn ich den Bürgermeister persönlich nicht kenne, finde ich das Bild überaus gelungen», erklärte Fräulein Eschenbach. «Es zeigt einen alten Mann in seiner ganzen Würde.»
    Einen Augenblick lang betrachteten alle schweigend das Porträt.
    «Ich kann mir denken», meinte Sören dann, «welchenRat Sie von mir wollen. Allerdings möchte ich bezweifeln, dass Ihr Problem mit juristischen Mitteln zu lösen ist. Selbst wenn es einen Vertrag zwischen Künstler und Modell geben sollte, kann Ihnen nicht daran gelegen sein, gegen den Wunsch des Auftraggebers zu entscheiden.»
    «Richtig», sagte Lichtwark. «Zumal Petersen eben gleichzeitig die Rolle des Spenders zufällt. Der eigentliche Auftraggeber bin ja ich – und ich sitze jetzt ganz gehörig in der Patsche. Breche ich einen juristischen Streit vom Zaun, verschrecke ich natürlich alle möglichen weiteren Gönner für den Ausbau der Sammlung. Andererseits will Liebermann natürlich bezahlt werden.»
    «Es wäre vor allem schade, wenn niemand das Bild sehen dürfte», sagte Fräulein Eschenbach. «Aber ich verstehe natürlich Ihr Problem. Irgendwie müssen Sie sich mit beiden Parteien arrangieren.»
    «Ich würde den Vorschlag unterbreiten», sagte Sören, «dass Petersen die Kosten trägt und das Bild bis auf weiteres im Magazin aufbewahrt wird. Unzugänglich für die Öffentlichkeit.» Lichtwark wollte schon etwas einwenden, aber Sören kam ihm mit einer beschwichtigenden Handbewegung zuvor. «Es geht Ihnen doch darum, eine Sammlung aufzubauen? Dafür brauchen Sie möglichst viele Kontrakte. Anders als bei diesem Auftrag können Sie dann jedoch schon etwas vorweisen. Das heißt, der Auftraggeber kann sich ein Bild davon machen, was ihn erwartet. Glauben Sie mir, das Problem wird sich nicht wiederholen.»
    «Sie meinen also, ich soll auf die Hängung dieses Bildes zugunsten neuer Aufträge verzichten und das Bildnis von Petersen gleichzeitig dafür nutzen, zukünftigen Auftraggebern eine unschöne Überraschung zu ersparen?»Lichtwark runzelte die Stirn. «Wahrhaft diplomatisch.»
    Sören nickte. «Ich verstehe ja nicht viel von Kunst, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass man in ein, zwei Jahren vielleicht auch aus dem Blickwinkel der Petersens anders über die Sache denken wird, wenn andere Auftraggeber trotz, oder vielleicht sogar wegen der realistischen Darstellung ihre Zustimmung für solche Porträts gegeben haben. Wenn erst vier oder fünf andere prominente Persönlichkeiten in der Galerie hängen, wird man sicher eitel genug sein, dazugehören zu wollen – dazugehören zu dürfen.»
    Alfred Lichtwark zwinkerte Sören zu, während er das Leinentuch wieder über das Gemälde drapierte. «Ich danke Ihnen für Ihren weisen Rat. – Da werde ich wohl noch viel Aufklärungsarbeit leisten müssen.» Er wandte sich Fräulein Eschenbach zu. «Ich würde mich gerne revanchieren. Wie wäre es, wenn ich Sie ein wenig durch die Galerie führe und Ihnen das eine oder andere Geheimnis zu den ausgestellten Exponaten verrate?»
    Das war mehr, als Sören erhofft hatte. Dankend nahmen sie die Einladung an. Nach einem mehrstündigen Rundgang verabschiedeten sie sich schließlich von Lichtwark, nicht ohne ihm zu versprechen, das Haus zukünftig regelmäßiger zu besuchen und auch an den Vortragsreihen zu unterschiedlichen Themen der Kunst teilzunehmen, die der Direktor hier im Hause häufiger veranstaltete.
    Der Tag neigte sich bereits seinem Ende entgegen, als Sören seiner Begleitung vor deren Haustür aus der Droschke half. Fräulein Eschenbach bewohnte eine kleine Wohnung in den Colonnaden, nur einen Katzensprung von ihrer Arbeitsstätte entfernt.
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