Der blaue Vogel kehrt zurück
Briefpapier. Ich halte Ausschau nach einem Telefon, um bei der Rezeption anzurufen, doch auch das fehlt. Dann gehe ich eben hinunter, ein bisschen Bewegung wird mir guttun. Die Tür zum Gang quietscht genauso wie die zum Bad. Die steile Treppe endet bei einer Tür, die nach draußen führt. Um nicht wieder die vielen Stufen hinaufsteigen zu müssen, kehre ich über den Bürgersteig ins Hotel zurück. Das Mädchen, seinen Namen habe ich vergessen, sieht überrascht hoch.
»Meneer Jacobson, was kann ich für Sie tun?«
»Ich würde gern einen Brief schreiben. Und hätten Sie vielleicht etwas zu trinken für mich?«
Sie nimmt zwei A4-Blätter aus dem Drucker. »Genügt Ihnen das?«
Ich betrachte die weißen Rechtecke; auf unliniertem Papier wird es mir noch schwerer fallen, meine Geschichte in eine Form zu bringen.
»Einen Umschlag dazu?«
Das Mädchen schiebt ein Kuvert über den Tresen, und noch bevor ich mich bei ihr bedanken kann, steht sie schon neben mir und wirft Geld in den Getränkeautomaten. Eine Bierdose kullert herunter.
»Ich setze das einfach auf Ihre Rechnung«, sagt sie und geht wieder an ihren Platz.
»Sie mögen doch Bier?«
»Ja, natürlich«, antworte ich und halte die Dose hoch, »und schön kalt ist es auch.«
Jetzt muss ich mich in Bewegung setzen, aber ich weiß nicht mehr, in welche Richtung.
»Kann ich noch etwas für Sie tun?«
Der Aufzug. Wo ist nur der Aufzug?
»Nein, nein. Vielen Dank.«
Wir wünschen uns einen schönen Abend und ich schlendere davon und biege langsam, als würde ich mich brennend für das Hotelinterieur interessieren, in den Gang. Ich gelange zu einer Treppe, die zwar in den zweiten Stock hinaufführt, doch Zimmer 206 kann ich nicht finden. Ich bezweifle, dass das die richtige Nummer ist, will auf dem Schlüsselanhänger nachsehen und stelle fest, dass ich die Karte im Zimmer liegen gelassen habe. Lästiger als den Gedanken, wieder hinunterzumüssen, finde ich es, … Noor, ja, so heißt sie, zu behelligen, doch sie ist genauso hilfsbereit wie unerschütterlich. Zum zweiten Mal begleitet sie mich mit dem Aufzug – dreimal links um die Ecke, warum kannich mir das nicht merken? – in den zweiten Stock und öffnet mir die Tür mit ihrer eigenen Karte.
Auch diesmal kommt sie mir zuvor: »Gern geschehen.«
Die Tür fällt ins Schloss.
Ich ziehe die Schuhe aus und rücke den Nachttisch neben mein Bett. Nach einigen Schlucken Bier greife ich zum Füller und schraube ihn langsam auf. Wie soll ich anfangen? »Liebe Catharina«? Was soll ich schreiben? »Ich bin gekommen, um …«
Ich muss zusehen, dass ich die Unsicherheit, die sich an mir festgeklammert hat wie ein vom Wege abgekommener Reisender und mir bis ins Hotelzimmer gefolgt ist, so schnell wie möglich abschüttle. Dieses Vorhaben, ein Treffen nach über einem halben Jahrhundert, darf nicht daran scheitern, dass ich eine simple Aussage nicht über die Lippen bekomme. Ich möchte ihr diesen Brief übergeben können, für den Fall dass es mir später, bei unserem Wiedersehen, nicht gelingen sollte, mich ihr verständlich zu machen.
Ich schreibe etwas und streiche es wieder durch. Ich trinke einen Schluck, stehe auf und setze mich wieder. In Gedanken sehe ich die schönsten Sätze mit genau den richtigen Worten vor mir, doch sie lösen sich auf, kaum dass die Spitze des Füllfederhalters das Papier berührt. Nach einer Weile steht da ein Haufen von Buchstaben, die hoffentlich deutlich machen, warum ich in Wirklichkeit aus Holland weggegangen bin – die Wahrheit diesmal –, wie ich versucht habe, alles wiedergutzumachen, und wie es mir seither ergangen ist.
Ich gebe mir große Mühe mit ihrem Namen auf dem Umschlag: Das C, das a und das t gelingen mir noch ganz gut, aber danach beginne ich zu schmieren. Das Wort ›Hovenier‹ kann wahrscheinlich niemand mehr entziffern.
»So, besser wird es nicht.« Ich stecke den Brief in die Sakkotasche.
Im Dunkeln versuche ich, Ordnung in das Durcheinander in meinem Kopf zu bringen. Nur das rot blinkende Licht des Fernsehers erinnert mich daran, dass ich ein Teil der Zivilisation bin.
So kraftvoll ich mich gefühlt habe, als ich meine Pläne fasste, so zerschlagen liege ich jetzt hier, auf diesem zu kleinen Bett, und versuche mir auszumalen, wie ich sie in die Tat umsetzen soll. Ich will mir einreden, dass es bloß an der Reise liegt und ich nach ein paar Stunden Schlaf schon wieder auf dem Damm sein werde, doch das Gefühl, alles in Ordnung bringen zu müssen,
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