Der blaue Vogel kehrt zurück
von der Agência do Banco Santander mit dem Geld, das vorher auf meinem Konto gelegen hatte.
Als ich gerade den Koffer schließen wollte, bemerkte ich, dass Vicky auch die Schachtel mit den Ohrringen eingepackt hatte.
Von den vielen Dingen, die ich ihr gezeigt hatte, hatte sie der Schmuck am meisten beeindruckt.
Ich glaube, ich holte ihn bereits an ihrem ersten Arbeitstag hervor. »Rosen«, sagte ich damals, »aus dem größten Diamanten, den ich je gefunden habe.«
»Für Ihre Frau …«, antwortete sie verträumt. In ihren Augen bekamen Schmuckstücke erst dann einen Wert, wenn Liebende sie sich geschenkt hatten.
Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ich ohne diese jóias de amor verreisen wollte.
Natürlich hatte ich sie Nana aus Liebe geschenkt, das stimmte, trotzdem war ich froh, dass Vicky nie fragte, was aus dem Stein selbst geworden war; das hier waren nur kleine Splitter. Dann hätte ich zugeben müssen, dass auch meine Frau das nicht gewusst hatte. Und vielleicht hätte ich ein noch größeres Geheimnis verraten. Linda.
»Ja«, sage ich, »das ist alles.«
»Dann bräuchte ich nur noch Ihren Reisepass.«
Ich ziehe ihn aus der Innentasche meines Sakkos und reiche ihn ihr. Sie kopiert das Dokument und schiebt mir eine Art Kreditkartezu. »Hier haben Sie Ihren Schlüssel. Zimmer 206 im zweiten Stock.«
Auf meinen fragenden Blick hin sagt sie: »Ich begleite Sie eben, so viel ist hier schließlich nicht los. Soll ich den Koffer nehmen?«
»Nein, nein, vielen Dank, das schaffe ich schon.«
Schneller, als gut für mich ist, folge ich ihr, dreimal links um die Ecke zum Lift. Hinter der Glastür sehe ich die Stahlkabel zittern. Die Aufzugskabine selbst hat zwei Schiebetüren aus Aluminium. Es ist genug Platz für zwei Personen und einen Koffer. Die junge Frau lächelt mich weiter so freundlich an, dass ich mich nicht traue, woanders hinzusehen als in ihre großen blauen Augen. Sie ist nur ein paar Zentimeter kleiner als ich. »Ein echtes holländisches Mädchen.«
»Wie bitte?«
»Ich dachte nur gerade, dass die Frauen in Brasilien viel kleiner sind als hier.«
»Ach ja?«
Der Aufzug bleibt stehen.
»Zweiter Stock. Wir sind da.«
Knarrend öffnet sich die Schiebetür.
»Da wären wir, die zweite Tür links. Darf ich?« Sie nimmt mir die Karte aus der Hand und hält sie über den Knauf. Ein grünes Licht blinkt.
»Bitte schön.«
Das Zimmer ist schmal, es sind zwei niedrige Einzelbetten darin, zwei Nachttische, ein schwarzes Polstermöbel und ein Kleiderschrank. Obendrauf steht ein Fernseher. Das große Fenster geht auf die Hemonylaan. Dahinten, will ich sagen, in dem Viertel bin ich aufgewachsen. Stattdessen gerate ich in dem schmalen Gang zwischen den beiden Betten ins Stolpern, und die Empfangsdame fragt, ob alles in Ordnung sei.
»Natürlich.«
»Und hier sind die Dusche, das Waschbecken und die Toilette.«
Die Tür quietscht beim Öffnen. Ich werfe einen Blick ins Bad.
»Ist alles nach Wunsch?«
»Wunderbar.«
»Frühstück gibt es von acht bis zehn. Die Rezeption ist rund um die Uhr besetzt.«
Ich greife zum Portmonee und sehe, dass ich kein Kleingeld habe.
»Ach, das macht doch nichts.«
Sie hält mir die Karte hin. Ihre Nägel sind rot lackiert. Ich nehme ihre langen, schlanken Finger in beide Hände. »Darf ich Sie nach Ihrem Namen fragen?«
»Noor. Eigentlich Nora, aber alle nennen mich nur Noor.«
Ich möchte ihr Fragen stellen – über ihre Arbeit, ihr Leben –, doch ich brauche zu lange, um die richtigen Worte zu finden. Und ihr zu sagen, dass ich mich einfach nur einen Augenblick an ihr festhalten möchte, wäre sonderbar – dabei würde ich ihr genau das am liebsten sagen.
»Ich muss jetzt wirklich gehen«, sagt sie.
»Ja, ja, ich verstehe schon.«
Ich öffne meine Hände und lasse die ihre los. Wie einen Schmetterling.
7
Kurz nach sechs. Noch ein paar Stunden, dann darf ich schlafen. Das Essen kann ich ausfallen lassen. Aber wenn ich wach bleiben will, muss ich etwas tun. Auf der Suche nach Briefpapier öffne ich die Nachttischschubladen, doch sie sind leer. Es gibt nicht einmal eine Bibel. Im Schrank baumeln ein paar leere Kleiderbügel.
Gleich werde ich das Mädchen anrufen und um Briefpapier bitten. Gleich. Erst lege ich mich einen Moment hin.
Es dämmert. Die Wipfel der Bäume in der Hemonylaan wiegen sich sanft hin und her. Ich brauche einen Moment, um mir darüber klar zu werden, wo ich mich befinde und welchen Wunsch ich hatte, als ich eingenickt bin.
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