Der blaue Vogel kehrt zurück
und der anderen unter den Knien hebt sie mich hoch. Sie wiegt mich sanft hin und her, stupst ihre Nase gegen meine – »Nase, Nase« – und legt mich vorsichtig wieder ab.
»Ganze viertausend Gramm, ohne Kleider.«
Sie stellt einen Wischeimer auf den Nachttisch neben dem Bett. Er ist aus Metall, der Henkel klappert. Wasser spritzt heraus. Ich rieche ihn, bevor ich ihn sehe: ein grauer Wischlappen.Sie holt ihn heraus und ich sehe, dass er voller schwarzer Haare ist. Sie bleiben ihr an den Händen kleben. Das braune Wasser kleckert herunter in den Eimer und auf den Boden. Klatsch! Der Wischlappen landet auf meinem Bauch. Vor Schreck stockt mir der Atem.
»Ganz ruhig bleiben«, sagt sie.
Mit beiden Händen zugleich beschreibt sie Achten auf meiner Brust. Der Geruch von grüner Seife steigt mir in die Nase. Kein Fleck bleibt trocken.
»So, jetzt kommt noch das hübsche Köpfchen dran und dann sind wir fertig.«
Sie zieht eine Schublade auf und nimmt ein kleines Beil heraus. Ich sehe ihre Hand mit der Waffe hochschnellen, aus meinem Blickfeld verschwinden und dann wie ein Raubvogel herabsausen. Mit einem Schlag trifft sie mich oben am Kopf, genau in der Mitte. Krachend birst der Knochen. Ich spüre, wie mein Schädel in zwei Teile zerbricht und kalte Luft hineinströmt.
»Angenehm, was?«
Sie steckt die Hände in meinen Kopf, greift nach dem Gehirn und knetet es so lange, bis es matschig ist und zerfällt. Dann wringt sie jedes einzelne Teil aus wie einen Schwamm.
19
Es geht ganz leicht; ich drehe die Augen von rechts nach links und wieder zurück, doch sobald mein Blick an etwas hängen bleibt, wird mir übel. Was ist das für eine Farbe? So eine Farbe habe ich noch nie gesehen. Irgendetwas zwischen Gelb und Weiß. Eine Art unappetitliche, schmutzige Sahne.
Wo kommt der Gestank her?
Da ist sie wieder, die Frau, die aussieht wie eine Krankenschwester. Ich kneife die Augen zusammen und sehe, dass sie das auch tut. Wie eine Katze in der Sonne.
Na, komm. Lass dich von mir streicheln.
Sie greift nach meinem Handgelenk. Legt mir die Hand an die Stirn. Einen nassen Lappen. Ihr Mund klappt auf und zu. Buch für Sie? Da ist ein Buch für Sie? Ich muss Nana fragen. Nana, hast du verstanden, was sie da gesagt hat? Nana?
Diese Kälte! So kalt ist mir noch nie gewesen. Stechende Schmerzen irgendwo in einem entlegenen Winkel meines platt gewalzten Körpers.
Wo … Ach, da steht sie ja. Oder ist es jemand anders? Reglos. Trotzdem bewegt sie sich. Sie ist ein kleiner Schiffsmast. Er tanzt auf und ab. Auf und ab, auf und ab. Gelb oder weiß? Weiß, gelb, blau, matt, kalt, dunkles Wasser.
Ich sehe Lichter. Blinkende Nadelköpfe. Meilenweit entfernt, doch ich weiß, was es ist: Da sind die Häuser, in die ich gehenwerde. Da sind die Straßen, auf denen ich fahren werde. Da wohnen die Menschen, zu deren Leben ich bald gehören werde. Sie wissen es noch nicht, aber ich bin schon unterwegs: der Gringo, ihr Nachbar, ihr Freund, ihr Geliebter, der Glückssucher, der Schatzfinder, der Holländer, der ihre Sprache lernen wird, der Mann, der ihnen erzählen wird, wie man etwas in seiner Heimat sagt. Essen, Trinken, Klagen, Wünsche, Glück, Kummer.
Die Küste verschwindet. Eine Welle rollt mit ungeheurer Geschwindigkeit aus der Ferne heran. Ich balle die Fäuste, gehe ein bisschen in die Knie und stelle den linken Fuß vor den Körper.
»Na los, ich weiche vor niemandem zurück!«
Mein Magen krampft sich zusammen, meine Speiseröhre füllt sich mit bitterer Flüssigkeit.
Wenn es sein muss, erbreche ich alles wieder, aber zurück gehe ich nicht, nicht zurück nach … Mensch, warum … Nein! Nicht an Holland denken. Es ist vorbei und ich bin am Leben. Den Ozean überqueren, wieder von vorn beginnen.
Ich hole ein paar Mal drohend aus. Rechts, links, rechts. Ich springe, tänzele vor der Welle, die aus der Nähe betrachtet gar keine Welle mehr ist, sondern eine dunkelblaue Wand, die gleich einstürzen wird. Ich klammere mich an der Reling fest.
»Ich habe keine Angst, überhaupt nicht!«
Das Wasser kommt mit tosendem Brausen auf mich zu und drückt das Boot auf der Backbordseite hinunter. Einen Moment lang glaube ich, dass wir kentern werden, doch wir schlingern wieder zurück und treiben wild schaukelnd weiter. Ich schmecke Salz auf meinen Lippen. Halte nach den Lichtern in der Ferne Ausschau und spüre, dass jemand neben mir steht. Ich drehe mich um. Ein Mann. Er trägt einen glänzenden Anzug. Nass vom Meerwasser, denke
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