Der blaue Vogel kehrt zurück
Blutuntersuchung besprechen. Und heute Nachmittag möchte ich gerne Ihre Lunge röntgen lassen.«
»Gut.«
»Schwester Suze hat mir erzählt, dass Sie am Wochenende Besuch hatten. Das ist schön. Waren das Verwandte von Ihnen?«
Besuch?
»Sie werden wohl allmählich müde, Meneer Jacobson. Vielleicht könnten Sie heute Nachmittag vor dem Röntgen versuchen, sich ein bisschen aufzusetzen. Sie könnten sich auf die Bettkante setzen oder auf einen Stuhl, drüben am Tisch. Das wäre noch besser, aber das sehen wir dann. Jetzt lasse ich Sie erst mal in Ruhe.«
Es tut mir leid, dass er weitermuss. Er macht einen sympathischen Eindruck und seine Gesellschaft ist sehr angenehm. Vielleicht könnte ich einmal mit ihm durch den Garten spazieren,wie mit Augusto. Ich drehe mich auf die linke Seite und blicke hinaus. Über eine Reihe von flachen Dächern streicht herrliches, sanftes Frühlingslicht.
31
Die Sonne steht fast an derselben Stelle, ich kann also nicht allzu lange geschlafen haben. Mein Bett bewegt sich. Jemand räuspert sich.
»Bist du das, Delmonte?«
Ein Gesicht, das mir vage bekannt vorkommt, schiebt sich langsam ins Bild. Ein Bauerngesicht. Was für eine dämliche Verkleidung. Ich darf mir nicht anmerken lassen, dass ich ihn durchschaue! Der Mann mustert mich wie einen Gegenstand. Es würde mich nicht wundern, wenn er mir gleich an den Schädel klopfte und fragte, ob da jemand zu Hause sei.
»Kaptein, Simon. Simon Kaptein. Erkennen Sie mich denn nicht? Wir haben uns gestern unterhalten, bis es Ihnen auf einmal zu viel wurde. Wissen Sie noch?«
Nein. Lügen. Unsinn. Darauf falle ich nicht herein.
»Das gehört dazu, ich habe die Schwester gefragt. Es ist eine kindliche Vorstellung: Wenn man die Augen schließt, sieht einen der andere nicht mehr. Ich soll mir nichts daraus machen, sagte sie, so reagieren Menschen in diesem Stadium Ihrer Krankheit nun mal auf schwierige Situationen. Sie hat mir auch gesagt, dass es wichtig ist, einfach weiterzureden, auch wenn der Patient nicht antwortet.«
Der Mann legt mir die Hand aufs Knie.
»Sie waren ziemlich unruhig. Zur Entspannung habe ich Ihnenein paar, sagen wir mal, alltägliche Dinge erzählt. Da wurden Sie etwas ruhiger. Haben Sie mich gehört?«
Nicht ansehen. Das ist oft am besten.
»Es ist vielleicht seltsam, aber ich hatte das Gefühl, Ihnen alles erzählen zu können. Sie lagen da so … ich weiß nicht, so ergeben. Verstehen Sie, was ich meine? Es ist nicht einfach, wissen Sie, mit so einer Frau« – sein Blick geht nach rechts –, »die ständig irgendwas hat. Erst konnte sie immer schlechter sehen und hören, dann hat sie Gleichgewichtsstörungen bekommen, vor ein paar Jahren ist ihr eine Brust amputiert worden und jetzt hat sie den zweiten Schlaganfall gehabt. Ich habe sie, alles in allem, nur kurze Zeit gesund erlebt: als wir verlobt waren. Ich glaube, sie hatte schon in der Hochzeitsnacht ein Pfeifen im Ohr. Sie klagt ununterbrochen, müssen Sie wissen. Unerträglich. Ihr ewiges Gejammer darüber, dass sie vom Pech verfolgt ist. Ich beklage mich doch auch nicht, dass ich eine Behinderte an der Backe habe? Und das schon mein halbes Leben. Immer musste ich ihr alles zweimal sagen – selbst nachdem wir ein Vermögen für ein Hörgerät ausgegeben hatten –, und die Zeitung hat sie sogar in aller Öffentlichkeit mit einem Vergrößerungsglas gelesen, als wäre sie eine alte Oma, verdammt noch mal. Nie konnten wir ausgehen, nie kamen Leute zu uns, außer Ärzten und so. Ärzte! Dr. Jansen, Dr. Petersen, sie hat sie angehimmelt und ihren Rat befolgt, wenn sie ihr empfahlen, dieses zu lassen oder jenes zu tun. Ich glaube, sie wäre sogar freiwillig gestorben, wenn einer von denen behauptet hätte, dass es ihr dann besser geht. Ganz anders ist sie mit den häuslichen Pflegekräften umgesprungen; in Gegenwart dieser Damen war sie immer nur bockig und besserwisserisch. Hat sich geweigert zu essen, hat gejammert, kaum dass ein Waschlappen ihr Gesicht berührte. Bei den Haushaltshilfen hat sie sich ganz und gar gehen lassen. Beschimpft hat siesie oder mit eisiger Nichtachtung gestraft. Es war ein einziges Kommen und Gehen, eine Haushaltshilfe war hässlicher als die andere, aber dann gab es schließlich eine, also, die Frau, von der ich Ihnen gestern erzählt habe …«
Ich habe keine Ahnung, was für ein Spiel er spielt und warum er mir diese seltsame Geschichte erzählt, doch ich beschließe, ihm keine Fragen zu stellen, mich nicht aus der Ruhe
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