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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
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nicht, wo du diese Lumpen herhast, aber damals hast du immer einen stahlblauen Anzug getragen und hattest noch volles Haar, immer schön eingeölt.
    Eines Tages sind wir uns auf dem Markt in der Gaaspstraat begegnet. Ich habe dich hinter den Stand des Gemüsemanns gezogen.Und dich gefragt, was du da zu suchen hättest, weil dieser Markt ja, soweit ich wisse, nur für echte Juden sei. Du hast eine Augenbraue hochgezogen. Genau wie jetzt! Du hast es also noch nicht verlernt. Da bin ich fuchsteufelswild geworden. Ich habe dich bei der Kehle gepackt, doch es kam kein Flehen, kein Ächzen, gar nichts. Als wäre es dir egal, ob ich dich fertigmachte oder in Ruhe ließe. Ich habe dich nach Onkel Louis gefragt, ob du wüsstest, wo die vielen Leute abgeblieben seien, doch du hast nur verächtlich geschwiegen. So hast du dagestanden, zwischen den Kisten, ein paar Schritte vom Gemüsemann entfernt, der so tat, als wäre nichts, und hast darauf gewartet, was ich als Nächstes tun würde.
    Ich habe versucht, mich an Sprüche von Kosmann zu erinnern – Kosmann, den du, seit du nicht mehr im Boxclub auftauchtest, einen hirnlosen Trottel nanntest, der sich ganz umsonst einem Volk widersetze, das das Beste mit uns vorhabe. Ich sah die Wörter zwar vor mir – Vernunft, Geist und Harmonie –, doch es gelang mir nicht, sie zu sinnvollen Kombinationen zusammenzusetzen. Dieser eine Vorfall kam mir allerdings in den Sinn: Einmal hatte mich Marius Jong ganz schön erwischt, mein rechtes Auge erblickte wochenlang kein Tageslicht, und ich hatte Kosmann sagen hören, echten Schaden erleide man nur im Geist. Diesen Satz wiederholte ich, als meine Mutter mich abends jammernd von allen Seiten betrachtete, doch sie verstand mich nicht.
    »Wo ist mein Onkel Louis?«
    Wieder die Augenbraue.
    Ich habe dir einen Leberhaken verpasst. Du bist sofort zu Boden gegangen. Ich habe gehofft, dass du aufstehen würdest, damit ich noch einen Treffer landen könnte, doch du bist hocken geblieben und hast mich gefragt: »Glaubst du wirklich, dass mir das was ausmacht?«
    »Dreckskerl.«
    »Ganz wie du meinst.«
    Inzwischen waren bereits ein paar Leute stehen geblieben. Der Gemüsemann zog mich von dir weg.
    »Hör auf mit dem Blödsinn, Junge«, sagte er. »Sonst habe ich gleich noch die Polizei am Hals.«
    Deshalb habe ich dich ziehen lassen, Delmonte, um andere vor Schaden zu bewahren.
    Ich weiß nicht wie, doch Kosmann hörte von dem Handgemenge. Eines Abends nach dem Training nahm er mich beiseite. Ich müsse vorsichtiger sein, dürfe niemandem mehr vertrauen und solle mich wie ein erwachsener Mensch benehmen. Wütend entgegnete ich, das habe er doch auch nicht gesagt, als wir auf dem Waterlooplein ein paar NSBern ans Leder wollten. Kosmann holte aus, schlang mir einen Arm um den Nacken und riss mich zu Boden. Die Wange auf dem Linoleum, Schweißgeruch in der Nase. Gnade? Gnade!
    Eine Woche später wurde er in der Vijzelstraat von einem holländischen Polizisten vom Fahrrad geschossen und sein Kopf anschließend von einem deutschen Lastwagen platt gefahren. Eddy, ein Junge aus dem Verein, hatte das mit angesehen. »Wie eine aufgeplatzte Tomate«, hatte er gesagt, »kein schöner Anblick.« Trotzdem hätte ich lieber mit eigenen Augen gesehen, wie er gestorben war. Um es glauben zu können.
    Der Mann, der mir zu lange zu dicht auf die Pelle gerückt ist, erhebt sich endlich. Es ist nicht Delmonte. Ich schätze sein Alter, sein Gewicht und die Anzahl Schläge, die nötig wären, um ihn auszuschalten. Das Ergebnis: fünfundsiebzig Jahre, achtzig Kilo, ein Uppercut und ein linker Jab.
    »Es tut mir sehr leid, Meneer …«
    »Kaptein.«
    »Meneer Kaptein, ich fühle mich nicht ganz wohl …«
    »Ich habe Ihnen von meiner Frau erzählt, die dahinten liegt, sehen Sie …« Hinten in der Ecke reckte sich ein magerer Arm in die Luft, als habe die Frau nur auf ein Zeichen ihres Mannes gewartet. »Und dass wir eine brasilianische Haushaltshilfe hatten. Sie wohnen doch in Brasilien?«
    Ich freute mich über dieses Wort: Brasilien. Ich denke an den Himmel in Brasilien, an die Berge, die Flüsse und das Meer.
    »Oder täusche ich mich?«
    »Nein, nein, das stimmt, ich wohne in Belo Horizonte. In der Rua Paraibuna, nicht weit vom alten Flughafen. Meine Wohnung ist recht bescheiden, zwei Zimmer für mich und ein kleines DCE für Vicky, die mich bei allem unterstützt, was ich nicht mehr schaffe.«
    Ich höre mich das sagen. Ich weiß, dass ich an seiner Stelle nachfragen

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