Der blaue Vogel kehrt zurück
sie nicht von ihrer Reise zurückgekehrt waren. Ich wusste es schon längst. Es hatte eigentlich keinen Sinn, darüber nachzudenken. Im Grunde brauchte ich nicht mal Kontakt aufzunehmen.
In den Momenten, in denen ich mich zwingen musste, einfach weiterzumachen, gab ich gedankenlos ein bisschen mehr Gas. Selbst wenn der Straßenbelag dafür nicht geschaffen war. Nana hatte keine Angst. Ich hörte ihr Lachen.
38
Als ich nicht allzu lange nach unserem Aufbruch aus Tapirama auf dem Platz vor der Santa-Rita-Kathedrale von Serro das Motorrad parkte, trafen wir einen Mann, der ausgezeichnet Englisch sprach: Augusto de Farias. Er lud uns zum Abendessen ein.
Er war, so erfuhr ich später, nur wenige Jahre älter als ich, doch sein Bauch hing damals schon über seinen Hosenbund. Während Nana sich mit seiner Frau Lia bekannt machte, schlug Augusto vor, mir den Garten zu zeigen. Noch bevor De Farias zu Ende gesprochen hatte, wusste ich, welchen Platz er in unserer Geschichte einnehmen würde – das war der erste Satz unserer Freundschaft. Mit diesem Mann ging ich an jenem Abend spazieren und noch unendlich viele Male danach.
Gegenwart, Zukunft und Vergangenheit – ein magisches Dreieck, das man von allen Seiten betrachten konnte. Ich war davon überzeugt, dass Augusto, ohne es zu wissen, Tausende von Kilometern von meinem Geburtsort entfernt, auf mich gewartet hatte.
Wie alte Männer, die Hände auf dem Rücken, schlenderten wir durch Augustos Garten. Bei jeder neuen Blumensorte enthüllte er mir einen Lebensabschnitt. Er hatte ein schönes, übersichtliches Dasein.
Wohlhabende Eltern, eine glückliche Jugend in Belo Horizonte– »Can you see those star-shaped flowers? Orchids! They come in many colours« – Medizinstudium – »Roses, of course« – kleine Hausarztpraxis in Serro, Heirat.
»Come, let’s eat.«
Auch das Gericht schien bereits ersonnen worden zu sein, als ich noch auf der Serpa Pinto unterwegs war.
Bolinhos de bacalhau , erklärte Augusto, seien Bällchen aus klein geschnittenem, getrocknetem Kabeljau mit Kartoffeln, Ei und Knoblauch, frittiert und zusammen mit frisch gepresstem Limettensaft und pimenta serviert. Unnötig zu sagen, dass ich nichts lieber aß als Fisch. Das eiskalte Bier schmeckte herrlich dazu.
Beim Essen konnte ich mit meinen Zukunftsplänen geschickt von meiner Vergangenheit ablenken.
Später sagte Augusto, er habe mich deshalb spontan ermutigt, weil ich so begeistert gewesen sei, er habe nämlich noch nie jemanden kennengelernt, der tatsächlich Diamanten gefunden habe. Doch an jenem Abend legten wir uns einen Plan zurecht: Ich würde von Serro aus Tagesreisen in die Umgebung unternehmen, innerhalb weniger Monate steinreich werden und ein Jahr später ein prachtvolles Haus in der Nähe des Ehepaars De Farias beziehen. Auf jedes einzelne Element unserer Zukunftspläne stießen wir mehr als einmal fröhlich an.
»Und wäre es dann nicht besser«, schlug Lia vor, »wenn Nana bis zu deiner Rückkehr bei uns bleibt?« Über diese Möglichkeit hatten die Frauen offenbar bereits gesprochen, denn auch Nana sah mich erwartungsvoll an, als wäre ich der Letzte, der noch in diesen Teil des Plans einwilligen musste.
»Ich könnte Lia in Augustos Apotheke helfen.«
»Genau«, bekräftigte die Frau des Arztes.
Der Hausarzt ballte die Hände zu Fäusten, wartete mein »Okay« ab und reckte sie dann triumphierend in die Luft.
Nachts, in dem kleinen Zimmer in unserer Pension, breiteten Nana und ich die Karte ihres Vaters auf dem Bett aus. Nana fuhr mit dem Finger die Route nach Três Marias entlang, dann weiter nach João Pinheiro und Cristalina, bis sie bei Valparaiso de Goiás von der Karte abkam, über meinen Oberschenkel weiterfuhr und schließlich bei meinem Penis landete, den sie kitzelte, bis er aufrecht stand und sich störrisch weigerte, sich wieder hinzulegen.
Im Nachhinein betrachtet verstehe ich nicht, dass ich all die Jahre nie an meinem Vorhaben gezweifelt habe. Bei meiner ersten Expedition verirrte ich mich und musste die Nacht auf einem Feld verbringen, beim zweiten Versuch, auf den ich mich besser vorbereitet glaubte, blieb ich mit einem leeren Tank in einem Kaff liegen, keine hundert Kilometer von Serro entfernt.
Den Glauben, Nana hätte mit ihrem Glücksfinger auf der Karte just den richtigen Ort erwischt, gab ich auf, zumal mich die Fahrt nach Três Marias mehrere Tage kosten würde und es kindisch war anzunehmen, dass ich ausgerechnet dort, wie bei einem Kreuz auf
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