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Der blaue Vogel kehrt zurück

Der blaue Vogel kehrt zurück

Titel: Der blaue Vogel kehrt zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arjan Visser
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wedelnde Handbewegung in die Richtung, wo ich saß – am besten nach Diamanten suchen könne. Aus dem Gespräch zwischen Vater und Tochter schloss ich, dass ich im Stromgebiet des Rio Paranaíba die beste Aussicht auf Erfolg hätte. Als ich Carlos danach fragte, antwortete er Nana. Ja, das sei die richtige Gegend.
    In der Stille, die nach diesen Worten eintrat, nahm ich Nanas Hand und hielt sie über die Karte ihres Vaters. Offenbar begriff Nana, dass sie bestimmen durfte, wohin wir fahren würden. Sie schloss die Augen und legte ihren schönen Zeigefinger auf Três Marias.
    Ihr Vater faltete die Karte zusammen, klapste Nana damit auf die Schulter und wünschte uns viel Glück.
    So machten wir uns auf den Weg. Über weite Strecken, viele Kilometer lang, waren wir zwei die einzigen Menschen auf der Erde. Wann immer der Weg nicht allzu holprig oder kurvig war, sah ich zur Seite. Zu meiner schönen Beifahrerin.
    Wir hatten einen kleinen Koffer mit ein paar Dingen zum Übernachten dabei, Lebensmittel, Getränke und natürlich mein Buch über Brasilien, dessen Abbildungen Nana genauso faszinierten wie mich zuvor der Text.
    Es war naiv von mir gewesen, zu glauben, dass Nana sich in ihrem Land auskannte, das zweihundertvierzig mal so groß war wie meines und in dem mehr unterschiedliche Kulturen nebeneinander existierten, als es in ganz Europa gab. Ich sah ihren Blick von einem Bild zum nächsten springen, als würde sie Brasilien zum ersten Mal sehen.
    Noch keine hundert Kilometer von ihrem Heimatort entfernt fragte sie sich bereits, wo um Himmels willen wir gelandet waren. Bei den Zwischenstopps, im kühlen Schatten der Bäume, hielt sie die Karte ihres Vaters verkehrt herum und kicherte über ihre Unwissenheit. Wir beschlossen, bei jeder größeren Kreuzung nach dem Weg nach Três Marias zu fragen. Ein paar versprengte Reisende konnten uns Auskunft geben, doch die Einheimischen sahen uns alle bloß mit großen Augen an. Ich nahm an, sie hätten vielleicht noch nie ein Motorrad mit Beiwagen gesehen, doch Nana wusste es besser: Der besondere Anblick war ich.
    Am ersten Tag fuhren wir bis Lelivéldia. Laut Nanas Berechnungen hatten wir etwa vierhundert Kilometer zurückgelegt. Die doppelte Anzahl hätte ich ihr auch abgenommen. Meine Muskeln waren völlig verkrampft vom Abfedern der Erschütterungen, und ich hatte das Gefühl, meine Nieren wären zur Lunge hochgerutscht.
    Dort, in dem Ort mit dem unvergesslichen Namen, in dem wunderschönen Flusstal des Rio Jequitinhonha, durfte ich Nana nehmen. Und sie mich. So war das wirklich: Wir schenkten uns einander. Hier, das ist meine Haut, fühl mal, wie zart sie ist. So rieche ich, wenn mir von dir ganz heiß wird. Und so schmecke ich.
    An jenem Abend gab Nana mir meinen Kosenamen. Sie benannte mich nach einem exotischen blauen Vogel, weil ich von einem anderen Kontinent herübergeweht worden war und meine Augen dieselbe Farbe hatten wie das Federkleid des azulão .
    Am nächsten Tag erreichten wir Planalto de Minas. Die Straßen waren noch schlechter als am ersten Tag, doch von dieser Fahrt blieb mir nur das Kribbeln in Erinnerung, das mich vom Scheitel bis zur Sohle durchlief.
    Es kommt mir vor, als wären wir eine Woche unterwegs gewesen, aber wahrscheinlich waren es nur zwei oder drei Tage. Ich habe sie als die glücklichsten meines Lebens in Erinnerung, doch auch hier blieben, wenn ich aussieben müsste, weniger übrig. Manchmal rang ich mit der Vergangenheit, wie die Indian, wenn sie einen steilen Hügel bezwingen musste.
    Meine nüchterne Art, die mir bei der Flucht durch Europa geholfen hatte, nützte mir hier nichts. Dort hatte ich meine Situation in ihre Einzelteile zerlegt und sie mir von allen Seiten angesehen, ohne ein Urteil darüber zu fällen. Nur so konnte ich verhindern, dass meine Emotionen mich unter sich begruben.
    Doch hier brauchte ich nicht länger auf der Hut zu sein, und so bekam auch die Trauer um die Menschen, die ich zurückgelassen hatte, die Gelegenheit zuzuschlagen. Landau, Kosmann, die Jungs vom Olympia … Ich knatterte durchs Paradies, der Gefangenschaft, dem Tod entronnen. Das Schicksal hatte mich davonkommen lassen und sich statt meiner andere geschnappt. Nein, so ist das nicht, so war das nicht …
    Der Kopf meines ehemaligen Trainers, eine aufgeplatzte Tomate. Meine erschossenen Clubkameraden. Mama und Landau mit ihren Koffern in der Tolstraat.
    Bald würde ich mich zwingen, mir diese Nachricht anzuhören; jemand würde mir mitteilen, dass

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