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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Schnellstraße nach Sodom reagiert hat, über unsere Nachbarschaft senkte sich jedenfalls eine geradezu biblische Stimmung. Sodom hat Haifa, Eilat und Tiberias den Rang abgelaufen und die Herzen wie eine Sommergrippe erobert.
    Und warum?
    Es begann damit, daß sich unser Nachbar Gutwoche nicht länger beherrschen konnte, ein Taxi charterte und samt Familie einen Weekendtrip nach Sodom unternahm. Am Samstag abend kehrten sie zurück, berauscht von dem einmaligen Erlebnis und mit wertvollen Schätzen beladen. Gutwoche hatte nämlich erlesene Sodom-steine von bis 50 Kilogramm Nettogewicht nach Hause geschleppt, seine Frau doppelt so viele. Unterwegs waren sie zwar mehrmals unter der historischen Last zusammengebrochen, aber nach einer wundersamen Genesung luden sie nun schon am nächsten Tag zu einer improvisierten Vernissage in ihre Villa ein. »Das ist Urschwefel«, erklärte uns Gutwoche stolz, »und dort, das Weiße, das ist Rohsalz aus dem Toten Meer. Da drüben liegt ein Magnesium-Kristall, und hier sehen Sie echte Kupferasche sowie eine erlesene Auswahl der Bodenschätze von Sodom.«
    Wir berührten andächtig das wundervolle Gestein, und ein heiliger Schauer durchlief uns. Mein Herz schlug bis zum Hals, und ich wurde von dem unstillbaren Verlangen erfüllt, Gutwoche aus dem Weg zu räumen und ihm seine Trümmer zu entreißen. Die anderen Besucher schienen mit ähnlichen Gedanken beschäftigt. Die Steine waren einfach überwältigend.
    Seitdem ist in unserer Nachbarschaft kaum einer mehr zu Hause.
    Alles pilgert gen Sodom, ob im Auto, auf Fahrrädern oder zu Fuß, um dort dem Steinesammeln zu frönen. Als Herr Reich vorgestern heimkam, war er zwar halbtot, hatte jedoch eine Salzsäule der Frau Lot ergattert. Die Glücklichen, die daran lecken durften, bekannten, daß sie noch immer recht salzig schmeckte. Felix hatte sich einen Lastwagen gemietet, und jetzt setzt er im Garten ein Mosaik aus seiner Wüstenbeute zusammen, das die Schlacht um Jericho in Originalfarben zeigt.
    Ich mußte umgehend auch etwas Sodomistisches unternehmen, wenn ich mein Gesicht in der Nachbarschaft nicht verlieren wollte. So schlich ich eines Nachts auf die benachbarten Baustellen und sammelte einen Sack voller Kieselsteine ein. Vor den neugierigen Blicken der Nachbarschaft schleppte ich mich am Morgen mit meinem Sack nach Hause und schüttete meine Naturschätze vor den Eingang. Die Kiesel glänzten im Sonnenlicht wie die Edelsteine König Salomons.
    »Herrschaften«, sagte ich mit belegter Stimme, »zieht eure Schuhe aus. Diese Schätze stammen aus Gomorrha.«
    Alles warf sich auf die Knie, und seither bin ich der erste Gerechte Gomorrhas in unserer Nachbarschaft.

    Unser Pessachfest ist eigentlich das Fest des Sauberen Hauses, als Erinnerung an die übertriebene Bedeutung, die Moses der Hygiene beigemessen hat. Vor dem Fest säubern die orthodoxen Juden ihr Haus vom Keller bis zum First, um alle Spuren von Gesäuertem zu vertilgen. Da meine Familie und ich nicht zur orthodoxen Klasse gehören, tun wir dies nicht. Was sich bei uns abspielt, geht aus den folgenden Seiten meines Tagebuches hervor.

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TOTALE SAUBERUNGSAKTION MIT ROHEN EIERN
    Sonntag. Heute beim Frühstück verkündete die beste Ehefrau von allen:
    »Pessach oder nicht, es ist Zeit für die Frühjahrsreinigung. Aber heuer werde ich deswegen nicht das ganze Haus auf den Kopf stellen. Großreinemachen kostet nicht nur sehr viel Arbeit, sondern auch sehr viel Geld. Wir werden also nur gründlich Staub wischen und aufkehren. Von dir verlange ich nur, daß du zwei neue Besen kaufst.«
    »Mit großer Freude«, antwortete ich und eilte in den Supermarkt. Dort erstand ich zwei langhaarige, künstlerisch geformte Prachtbesen und war voll Dankbarkeit für die weise, hausfrauliche Zurückhaltung meiner Ehegattin.
    Als ich heimkam, fand ich unser Haus von einem murmelnden Bächlein umflossen. Die beste Ehefrau von allen hatte den klugen Entschluß gefaßt, vor der Entstaubung den Fußboden ein wenig anzufeuchten, und hatte dafür eine weibliche Hilfskraft gemietet und noch eine zweite als Wasserträgerin.
    »In einem Tag haben wir das alles hinter uns«, sagte die beste Ehefrau von allen, »mach nicht schon wieder aus einer Mücke einen Elefanten.«
    Das freute mich von Herzen, denn aus technischen Gründen gab es an diesem Abend nur weiche Eier zu essen, und das verträgt sich nicht ganz mit dem hohen Lebensstandard, an den ich nun einmal gewöhnt bin.

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