Der Blaumilchkanal
warum?«
Auch Ginzburg begann zu weinen.
»Was weiß ich?« heulte er. »Verstehst du denn nicht, daß ich unter Erfolgszwang stehe?«
Der Engel kniete vor Ginzburg nieder:
»Ich bitte dich, um Gottes willen zu überlegen, was man dereinst in den Geschichtsbüchern schreiben wird. Unser erster Tempel wurde 587 v. Chr. von den Babyloniern zerstört, der zweite Tempel im Jahre 70 n. Chr. von den Römern, und den dritten Tempel zerstörte Genosse Ginzburg heute nachmittag um 4 Uhr.«
Ginzburg schwieg. Von Zeit zu Zeit steckte er einen nachdenklichen Finger in die Hose und prüfte die Spannung des Gummibandes.
Der Engel wälzte sich vor Ginzburgs Füßen im Staub:
»Rette doch den Staat, Ginzburg. Zerstöre ihn nicht mutwillig. Verzichte endlich auf die Gummizulage.«
Ginzburg schwieg weiter. An seiner Stirn schwollen die Adern an, und seine Kinnbacken mahlten. Nicht zu beschreiben, was der Mann in diesen Minuten durchmachte. Dann entschied er:
»Ich muß den Betriebsrat anrufen.«
Nach 20 Minuten war er wieder da und fragte klein laut:
»Wäre nicht ein Pauschalabkommen möglich? Ich meine, das Bestehen des Staates mit dem gestrafften Gummiband zu verbinden?«
»Nein!«
Ginzburg zog sich betreten zurück und kam erst zweieinhalb Stunden später taumelnd wieder. Seine Augen waren verweint, seine Mundwinkel zitterten:
»Es tut mir wirklich leid, aber es bleibt beim Gummi.«
Der Engel stürzte sich in sein flammendes Schwert. Der Erdboden öffnete sich und verschlang den ganzen Staat. Alles, was zurückblieb, war ein riesiger Krater, über dem sonore arabische Musik zu hören war.
Ich kann dieses Buch nicht beenden, ohne dem Leser in Erinnerung zu rufen, daß ein Satiriker nicht Moral predigen, sondern den selbsternannten Sittenaposteln einen Spiegel vorhalten sollte.
Mit einem verzweifelten Schrei, mit der verkrampften Hand Weintraubs Hals umklammernd, stürzte sich Ginzburg in den Abgrund. Das neue Gummiband in seiner Unterhose hielt.
In diesem Sinne möchte ich einen aufrechten Mann vorstellen, der alle Gebote von Moses, inklusive des Zweiten, das einst unter den Teppich gekehrt wurde, voll und ganz einhielt.
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EIN TAG IM LEBEN EINES WAHRHAFT GERECHTEN
Ich bin der Herr dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben Mir
Düstere Neuigkeiten erwarteten Vizedirektor Schultheiß vor seinem Büro. Der Pförtner teilte ihm süffisant lächelnd mit, Herr Steiner erwarte ihn bereits. Schultheiß war nur mit Mühe imstande, die Treppen zu bewältigen. Seit langem fürchtete er sich vor dem Augenblick, da die hinterhältigen Gerüchte, die über seine diversen Geschäfte kursierten, dem Aufsichtsrat zu Ohren kämen. Es war sonnenklar, daß Steiner ihm nun Ermittlungen ankündigen würde.
»Das ist also der Dank, für die Firma geschuftet zu haben«, knurrte Schultheiß. »Alles habe ich ihr geopfert, meine Jugend, mein Privatleben, meine Gesundheit. Und jetzt, bei der ersten miesen Verleumdung, wird man den Hunden vorgeworfen.«
Steiner wartete mit leicht hochgezogener linker Augenbraue.
»Da haben wir's«, stellte Schultheiß am ganzen Leibe zitternd fest, »der Generaldirektor ist verstimmt. Das ist das Ende.«
Im gleichen Moment senkte Steiner jedoch die linke Augenbraue und hob seinen rechten Mundwinkel, während er gleichzeitig den Arm ausstreckte.
»Halleluja, der Aufsichtsrat hat mich nicht verlassen«, flüsterte Schultheiß erschüttert und wurde von so großer Freude erfüllt, daß er Steiner, dem Engel der rettenden, erlösenden, barmherzigen Firma, am liebsten zu Füßen gefallen wäre.
Du sollst dir kein Bildnis machen, bete sie nicht an und diene ihnen nicht
Beruhigt betrat Schultheiß sein Büro. In bester Stimmung schloß er die Türe und holte den dicken Umschlag hervor, den er in der Schublade versteckt hatte.
»Ich werde mit meiner Sekretärin ein wenig ins Ausland fahren«, beschloß er großmütig. »Kein Problem, das Geld ist da.«
Er strich gerührt über das Porträt Abraham Lincolns, verteilte die Dollars auf seinem Schreibtisch und legte eine kleine Patience aus den grünen Scheinchen. Da klingelte das Telefon.
Du sollst den Namen des Herrn nicht unnützig aussprechen
Es war sein bester Freund, der wieder einmal wegen der Bankbürgschaft anrief.
»Mein Lieber, als Angestellter darf ich wirklich nicht unterschreiben, so wahr mir Gott helfe«, erläuterte Schultheiß und fegte die Scheine geschwind zurück in den Umschlag.
Sein
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