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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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ABSEITS
    Es war während des oben erwähnten internationalen Sportgötzendienstes, als mein Telefon aufgeregt klingelte und die Stimme von Erna Spiegel durch den Hörer vibrierte: »Bitte, sprechen Sie mit meinem Mann«, flehte mich meine Nachbarin an, »seit einigen Tagen ist er völlig meschugge.«
    »Bulgarien - Mexiko?«
    »Ja.«
    »Ich komme.«
    Ich war nicht im geringsten überrascht. Die Medien berichteten laufend über Fernsehzuschauer, die während delikater Torsituationen vorzeitigen Herzattacken erlagen. Nach letzten Berichten hatte sich ein Innendekorateur aus Mailand vor der Verlängerung des Spieles Italien-Nigeria während eines Elfmeterstoßes von Bag-gio erhängt. Der Fall war um so tragischer, da Italien siegte. Aber so spielt das Leben. Die Hinterbliebenen verklagten jedenfalls die Fernsehanstalt auf Schadenersatz.
    Die Ereignisse während der Fußballweltmeisterschaft hatten also bewiesen, daß der menschliche Organismus nicht dafür geschaffen ist, auf Dauer mit drei Stunden Schlaf auszukommen. Seit Beginn des epochalen Turniers ist das Bruttosozialprodukt auf ein Drittel geschrumpft, vom abrupten Rückgang des aktiven Geschlechtslebens ganz zu schweigen.
    Und jetzt auch noch Felix Spiegel.
    Erna erwartete mich in der Tür, die Zwillinge Motke und Schmuel hingen schluchzend an ihrem Schlafrock-zipfel. Die geröteten Augen der schicksalsgeprüften Frau zeugten von schlaflosen Nächten, der verhangene Blick hauchte »Washington«.
    »Mein Felix ist wahnsinnig geworden«, flüsterte Erna. »Seit Tagen belagert er das Wohnzimmer und laßt niemanden in seine Nähe. Soeben sieht er das Spiel Bulgarien gegen Mexiko.«
    Sie öffnete die Wohnzimmertür einen Spalt. Ich blickte vorsichtig hinein: Felix hockte am Boden, umgeben von Sportzeitschriften und leeren Bierflaschen.
    »Seit Deutschland gegen Südkorea rasiert er sich nicht mehr«, erklärte Erna, »und nur in den Spielpausen versuchen wir, ihm Essen auf einem Tablett durch die Tür zu schieben. Er verläßt das Zimmer nicht mehr...«
    »Auch nicht für... ich meine ...«
    Erna warf einen nervösen Blick unter das Campingbett ihres Mannes:
    »Fragen Sie lieber nicht.«
    Ja, das Problem ist zweifellos, den Fernsehapparat auszuschalten. Man braucht dazu übernatürliche Kräfte. Ein erfahrener Bekannter von mir versucht sich zum Beispiel immer dann vom Bildschirm loszureißen, wenn gerade ein Schienbein Erste Hilfe bekommt. Dann springt er zur Steckdose und reißt mit einem heiseren Schrei den Stecker heraus. Seit kurzem soll es sogar einen professionellen Ausschaltdienst geben, der auf Bestellung gegen Mitternacht einen gut trainierten Mitarbeiter vorbeischickt, um den Apparat auszuschalten. Der Mann ist natürlich bewaffnet.
    Auf dem grünen Bildschirm wimmelte es von bunten Trikots. Plötzlich beugte sich Felix vor und schrie einem Bulgaren nach:
    »Längere Pässe, Stoitschkov!«
    »Verstehen Sie jetzt?« fragte Erna. »Felix bildet sich sogar ein, Trainer der bulgarischen Mannschaft zu sein.«
    »Schrecklich«, bemerkte ich. »Der Trainer ist Dimitar Penev.«
    Vom Rasen ertönte ein schrilles Pfeifen.
    »Der Tonlage nach müßte das der holländische Schiedsrichter sein«, meinte der Zwilling Motke. »Er hat schon das Spiel Norwegen gegen Spanien gepfiffen.«
    »Bogdanov, du Idiot«, donnerte es aus dem Wohnzimmer, »rechter Flügel, Herrschaft noch mal, F-l-ü-g-e-l!«
    »Jetzt meint er den mexikanischen Mittelfeldspieler«, murmelte Rosa verzweifelt.
    »Bogdanov ist Stürmer, Mami«, zischte der kleine Schmuel, »Jordan Letschkov ist der bulgarische Mittelfeldspieler.«
    Erna schloß leise die Tür. Die Zwillinge packten mich an der Hose:
    »Papi ist krank, Onkel«, murmelte Motke. »Erbeschloß heute morgen eine radikale Umgruppierung der deutschen Mannschaft. Er will aus Klinsmann den Verteidiger gegen Brasilien machen. Armer Papi.«
    »Ohne Klinsmann im Sturm ist eine torfähige Mannschaft unvorstellbar«, meinte auch sein Bruder. »Mit ihm im Sturm würden die beiden brasilianischen Stürmer Jorhino und Romario in Chicago keinen Ball sehen.«
    »In Washington«, korrigierte ihn Erna vorsichtig. »In Chicago spielt Rumänien gegen Italien. Berti macht sicher Hackfleisch aus den Bulgaren.«
    »Aber, gnädige Frau«, warf ich ein. »Nur wenn Matthäus sich von der Verletzung des Knöchels erholt hat.«
    Durch die geschlossene Tür hörten wir Felix' wilde Pfiffe:
    »Halt, Baggio ist offside! H-a-l-t!«
    »Mein Mann weiß nicht mehr, was er

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