Der Blaumilchkanal
landen! Außerdem kann es für Sie doch wohl kein Vergnügen sein, ständig als >Schickse< tituliert zu werden.«
»Ich bin aus voller Überzeugung und jederzeit bereit zu konvertieren, Ehrwürdiger Vater.« »Gleich konvertieren? Wissen Sie meine Tochter, welch schreckliches Schicksal Sie damit auf sich laden? Haben Sie eine Ahnung, was Sie erwartet? Dieses Volk ist verfolgt und gedemütigt seit Menschengedenken.«
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Wir müssen die Dinge beim Namen nennen, liebe Marilyn, denn seit dem Mittelalter hat sich bei uns nichts geändert. Traditionen sind was Beständiges, Sie verstehen. Möchten Sie Unglückskind jetzt noch immer in den Schoß der jüdischen Religion aufgenommen werden?« »Ich habe mich entschlossen, Jüdin zu sein, nichts wünsche ich mir sehnlicher.«
»Heuchlerin! Sie wollen Jüdin werden, damit Ihre Kinder heiraten, sich scheiden lassen können und eines Tages einen hübschen Platz auf dem Friedhof finden. Und damit die Nachbarfratzen Ihnen nicht dauernd >Schickse< hinterherrufen.«
»Wenn ich ganz ehrlich bin, dann ist es so, Ehrwürdiger Rabbiner.«
»Dann kann ich Ihnen leider nicht helfen. Dann wird es nichts mit Ihnen und der jüdischen Religion. In unseren Glauben muß man sich verlieben, man muß ihn aus tiefstem Herzen wollen.«
»Ich nehme alles zurück, Ehrwürdiger Vater. Nicht weil ich es Arthur versprochen habe, sondern weil ich fest daran glaube, daß die jüdische Religion die einzig wahre ist, will ich übertreten.«
»Wenn das wirklich so ist, meine Tochter, dann müssen Sie sich den Geboten widerstandslos unterwerfen und die heiligen Pflichten klaglos erfüllen. Sie werden Arthurs Haus nicht verlassen und den Blick demütig senken, wenn Sie einem Manne begegnen. Sie werden den Saum und die Ärmel Ihres Kleides verlängern, Ihre Beine werden stets in Strümpfen stecken und kein Mann wird jemals nur einen Zentimeter Ihrer Haut oder Ihres Haares erblicken. Sie werden immer und überall nur mit einem Kopftuch zu sehen sein, denn, wie heißt es, unzüchtig ist das Haar der Frau. Beim Bereiten der Mahlzeiten werden Sie niemals die Reinheitsgebote vergessen, und sollte ein Fleischmesser, Gott behüte, in Milch fallen, vergraben Sie es sieben Klafter tief im Garten.
In der Synagoge sitzen im Saal nur Ihr Mann und Ihre Sohne, Frauen haben da unten nichts zu suchen. An den heiligen Tagen werden Sie kein elektrisches Licht anschalten, natürlich auch kein Radio, keinen Fernsehapparat und kein Videogerät, denn das sind die Freuden der Ungläubigen. Werden Sie all dies tun, meine Tochter?«
»Ich... ich werde es zumindest versuchen..,«
»Versuchen? Jetzt, schöne Ungläubige, jetzt hast du dein wahres Antlitz gezeigt. Nicht etwa das Himmelreich hast du im Auge, sondern das Wohlergehen deiner zukünftigen Kinder.«
»Ja, aber, was soll ich denn nur tun, Herr Rabbiner?«
»Ich habe keine Ahnung, Marilyn. Komm auf jeden Fall in vier Jahren wieder.«
»Und in der Zwischenzeit?«
»Bete, meine Tochter, bete, bete, bete.«
»Wozu?«
»Daß wir die nächsten Wahlen verlieren.«
Solange die religiösen Parteien über der magischen Fünfprozentmarke liegen, ist jeder Widerstand gegen die Sinai-Gesetze zwecklos. Ausgenommen sind, wie bereits erwähnt, nur die Fußballspieler, die vom Himmel eine Freistellung erhielten.
Es ist also kein Zufall, daß dieser Sport in den Geboten von Moses nicht vorkommt. In seiner umfassenden Weisheit wußte er, daß goldene Kälber kommen und gehen, die goldenen Beine aber bleiben. Wie steht es so schön in der
Fußballbibel: »Liebt Franz Beckenbauer von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit allen euren Gedanken.«
Man kann nicht leugnen, daß dieser Lieblingssport in unserem Jahrhundert eine Art Heiligenschein bekommen hat. Als bei der letzten Weltmeisterschaft der Brasilianer Branco im Spiel gegen Holland das Siegestor geschossen hat, lief er auf seine Gläubigen auf den Zuschauertribünen zu, und »die Haut seines Angesichts glänzte« wie die von Moses, als er vom Berg hinabstieg. Und er wäre gewiß über dem Erdboden geschwebt, hätte ihn nicht seine Mannschaft mit neidvoller Zärtlichkeit am Boden festgehalten, während das Publikum im Massenorgasmus tobte ...
Ich will mich darüber aber keineswegs lustig machen, denn mir ergeht es nicht anders. Wenn keiner mich sieht, werfe auch ich mich vor der Glotze anbetend vor dem nigerianischen Torwart nieder.
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GÖTTERDÄMMERUNG IM
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