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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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glücklichste Mensch auf Erden. Schon bald aber spüre ich die ersten Entzugserscheinungen, der Finger wird wieder steif, und ich muß einfach anrufen, egal wen, koste es, was es wolle. Sogar »kein Anschluß unter dieser Nummer« verschafft mir eine gewisse Erleichterung, das Blut fließt wieder zum Gehirn, die Augen beleben sich, und die Haut wird wieder rosig.
    Seit kurzem habe ich eine neue Methode, die Anfälle in den Griff zu bekommen. Ich rufe mich selbst an. Einmal kam ich sogar durch und unterhielt mich ein wenig mit mir, ich war jedoch falsch verbunden. Das ist der Anfang vom Ende.
    Die Ärzte behaupten, es gäbe noch schwerere Fälle von Telefonvergiftung als meinen, und schilderten müden Fall des Innenarchitekten G. S., der mit vier Apparaten auf seinem Schreibtisch arbeitete, sich bei vier gleichzeitigen Auslandsgesprächen in den Kabeln verstrickte und erdrosselte. Seither läßt die Post nicht mehr als drei Apparate pro Quadratmeter zu.
    Nach jüngsten Erhebungen verlaufen Gespräche von Telefon-Junkys alle ähnlich, etwa so: »Ja.«
    »Ist Herr Sulzbaum da?«
    »Ja.«
    »Wann kommt er?«
    »Er ist da.«
    »Gut, ich rufe in einer halben Stunde noch mal an.«
    Oder in leichteren Fällen: »Hallo, wie geht's?«
    »Alles o.k., alles bestens.«
    »Wohlbefinden?«
    »Vorhanden.«
    »Also gut, du hast Besuch. Ich rufe später wieder an.«
    *
    Telefonsüchtige sind verlorene Seelen. Manche Ärzte schlagen stufenweisen Entzug vor, da man das Telefonieren nicht von heute auf morgen aufgeben könne, ohne bleibende psychische Schäden zu riskieren. Der Gesundheitsminister empfiehlt, eine anfängliche Einschränkung auf 80 Telefonate pro Tag und danach schrittweisen Rückgang auf 40. Nach etwa zwei Monaten intensiver Entziehungskur bringt es mancher Süchtige sogar auf nur mehr 15 bis 20 Anrufe vom Autotelefon aus und steht dann kurz vor der Heilung. Ein Jerusalemer Mönch hat kürzlich eine Therapie entwickelt, wonach der Süchtige in einem kleinen Rucksack oder einer umweltfreundlichen Plastiktüte ein Spielzeugtelefon mit sich führt. Bei einem Suchtanfall kann er die Ersatzdroge einsetzen und wählen, soviel er will.
    Ich selbst habe alle Methoden durchprobiert, von der Telefonitis loszukommen. Nur eine hat mich geheilt. Sie heißt Faxitis.

    Im Vergleich zu den Dimensionen des Alls ist das angebetete Telefon eher klein und relativ lautlos. Es gibt aber einen ohrenbetäubenden Götzen auf vier Rädern, der die Konkurrenz durchaus aufnehmen kann. Ich meine die Rennwagen und ihre berühmten Fahrer, die das Donnergrollen des Himmels herausfordern, obwohl sie selbst vor nichts mehr Angst haben als vor einem Gewitter.

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GÖTTER AUF SECHS ZYLINDERN ODER GAUDI BEI AUDI
    Was tut der Mensch, wenn er aus heiterem Himmel und ohne Vorwarnung zur Deutschen Tourenwagenmeisterschaft eingeladen wird? Er sagt, was soll das, und bleibt zu Hause. Ich sagte, was soll das, und fuhr nach Hockenheim.
    Bisher hatte mich dieses telegene Happening nicht im mindesten beeindruckt. Im Gegenteil, ich schaltete meinen Fernseher so schnell wie möglich ab, wenn auf dem Bildschirm die Motoren aufheulten. Ich habe einfach nicht die Nerven, auf das erste Krachen zu warten. Aber diesmal dachte ich einfach und pragmatisch, ich würde die Einladung annehmen, denn für einen populären Schriftsteller wie mich hat die Sache einen nicht unerheblichen PR-Effekt. Bevor ich mich auf den Weg machte, studierte ich die greifbare Fachliteratur und erfuhr, daß im Vorjahresrennen Audi die ersten drei Plätze belegt hatte und der umjubelte Titelverteidiger, Hans-Joachim Stuck, ohne ersichtlichen Grund »Striezel« genannt wird. Das war alles, was ich behielt. Am weltberühmten Ring eingetroffen, machte ich mich dann unverzüglich an die Audi-Crew heran. Schließlich sind Sieger unwiderstehlich.
    Die eindrucksvollen Ausmaße in Hockenheim, die unzähligen Boxen und glänzenden Rennwagenmonster beeindruckten mich, wie nicht anders erwartet, tief. So ähnlich hatte ich mir das Militärlager von »Desert Storm« auf dem Höhepunkt der amerikanischen Offensive vorgestellt, die ja bekanntlich den Endsieg Saddam Husseins auslöste. Das Schicksal und meine Begleiter machten mich auch mit dem legendären Striezel bekannt. Der damalige Sportwagen-Weltmeister umarmte mich wie einen alten Freund und fragte mich strahlend, wer ich denn eigentlich sei. Nachdem ich mich als berühmter Schriftsteller zu erkennen gegeben hatte, erzählte er

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