Der Blaumilchkanal
gab meinen Protest auf, verteilte rasch ein paar Autogramme auf Banknoten und unternahm einen letzten Versuch, der Bank die beiden Geldkoffer zurückzugeben. Singer wehrte sich energisch: »Nicht nötig, nicht nötig. Wir haben bereits die Zentrale benachrichtigt, und die Versicherung bringt bereits unseren Kontoauszug auf den neuesten Stand. Nur keine Komplikationen. Bleiben Sie lieber noch, bis die Leute vom Fernsehen kommen.«
Dazu hatte ich leider keine Zeit, verabschiedete mich von Singer mit herzlichem Händedruck und fuhr zur nächsten Tankstelle.
»Wieviel?« fragte der Tankwart.
»Auffüllen«, sagte ich.
Der Tankwart öffnete meinen Kofferraum und warf alles Geld hinein, das er zur Hand hatte. »Brauchen Sie eine Empfangsbestätigung?« fragte ich.
»Danke, nein. Ich bin versichert.«
Schade, dachte ich auf der Heimfahrt, schade, daß wir gerade jetzt eine Inflation im Land haben. Wo die Kinder Israels doch endlich ein normales Volk geworden sind.
Wie bekannt, wurde Adam aus dem Paradies hinausgeworfen, weil er Lieber Gott spielen wollte. Das ging daneben, da er nicht die nötige Kompetenz hatte. Auch danach ist es keinem Sterblichen mehr geglückt. Außer mir. Aber leider nur für kurze Zeit.
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VORSICHT, GOTT HORT MIT
Wir haben seit langem Schwierigkeiten mit unseren Nachbarn, den Seligs. Was die mit ihrem Radio aufführen, ist einfach unerträglich. Jeden Abend um 6 Uhr kommt Felix Selig todmüde nach Hause, hat aber noch Kraft genug, zum Radio zu wanken und es auf volle Stärke aufzudrehen. Ob Nachrichten, Musik oder literarische Vorträge herausdröhnen, ist ihm völlig gleichgültig. Wenn es nur Lärm macht. Und dieser Lärm dringt bis in die entlegensten Winkel unserer Wohnung.
Die Frage, wie wir uns dagegen wehren könnten, beschäftigt uns schon seit einiger Zeit. Meine Frau, die die Seligs unter ungeheurer Selbstüberwindung besucht hat, behauptet, wir waren das Opfer eines akustischen Phänomens, das Radio dröhne bei uns noch lauter als bei den Seligs selbst. Jedenfalls ist die Trennwand zwischen den beiden Wohnungen so dünn, daß wir abends beim Ausziehen das Licht löschen, um keine lebenden Bilder an die Wand der Seligs zu werfen. Daß durch diese Wand selbst das leiseste Flüstern zu hören ist, versteht sich von selbst. Nur ein Wunder könnte uns retten.
Und das Wunder geschah.
Eines Abends, als Seligs Höllenmaschine wieder ihren ohrenbetäubenden Lärm machte, mußte ich mich wegen eines unvermeidlichen Theaterbesuchs rasieren. Kaum hatte ich meinen elektrischen Rasierapparat eingeschaltet, als es in Seligs Radio laut zu knak-ken begann. Ich zog den Steckkontakt heraus, und das Knacken hörte auf. Ich schaltete ihn wieder ein, es knackte und krachte. Dann hörte ich Felix Seligs Stimme:
»Erna! Was ist mit unserem Radio los? Dieses Knacken macht mich ganz verrückt.« Ungeahnte Perspektiven eröffneten sich.
Am nächsten Abend hatte ich mich gut vorbereitet. Als Felix Selig um 6 Uhr nach Hause kam, wartete ich bereits mit gezücktem Rasierapparat. Felix torkelte zum Radio und drehte es an. Eine Minute ließ ich verstreichen, dann suchte mein Elektrorasierer Kontakt und fand ihn.
Umgehend verwandelte sich in der Nachbarwohnung eine wunderschöne Pianostelle der Haffner-Symphonie in ein Fortissimo-Krkrkrk.
Felix wartete kurz, dann riß ihm die Geduld.
»Hör auf, um Himmels willen!« brüllte er völlig entnervt in den Kasten, und seine Stimme klang so beschwörend, daß ich unwillkürlich den Stecker herauszog.
Felix stutzte, stellte das Radio ab, rief mit heiserer Stimme nach seiner Frau und sagte, für unsere gespitzten Ohren deutlich hörbar:
»Erna, es ist etwas sehr Merkwürdiges geschehen. Der Apparat hat geknackt, ich habe >Hör auf!< gebrüllt, und er hat aufgehört.«
»Felix«, antwortete Erna, »du bist überarbeitet. Das merke ich schon seit einiger Zeit. Heute gehst du früher schlafen.«
»Du glaubst mir nicht?« brauste Felix auf. »Du mißtraust den Worten deines Mannes? Hör selbst!«
Und er drehte das Radio an.
Wir konnten sie beinahe sehen, wie sie vor dem Kasten standen und auf das geheimnisvolle Knacken warteten. Um die Spannung zu steigern, wartete ich eine Weile.
»Na bitte«, meinte Frau Selig. »Du redest dummes Zeug. Wo bleibt das Knacken?«
»Wenn ich's dir vorführen will, kommt's natürlich nicht«, fauchte Felix enttäuscht. Dann wandte er sich hämisch an das Radio: »Also du willst nicht knacken,
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