Der Blaumilchkanal
»Sehr komisch, was? Das ist mein fünftes Hold-up in diesem Monat.«
Ich versuchte dem Mann zu erklären, daß ich keine Waffe bei mir hätte und nur mein Geld haben wollte.
»Herr Singer«, rief der Kassierer einem zweiten Beamten zu. »Bitte kommen Sie einen Augenblick her. Wir haben es mit einem etwas verwirrten Bankräuber zu tun.«
»Sofort.«
Herr Singer beendete seine Jause und kam mit einem weiteren Banknotenbündel herüber. »Mehr ist heute leider nicht in der Kasse. Erst wieder am Freitag, wenn die Gehälter ausgezahlt werden. Übrigens, warum tragen Sie keinen Strumpf überm Kopf?«
»Weil das kitzelt.«
Es war eine merkwürdige und für mich nicht gerade angenehme Situation. Rings um mich drängten sich Neugierige und redeten durcheinander. Einer stürzte zur Tür, wo seine Frau wartete:
»Olga, hol die Kinder, schnell! Hier gibt's einen Banküberfall.«
Immer noch lagen die Banknotenbündel vor mir, immer noch versuchte ich Herrn Singer klarzumachen, daß ich sie nicht wollte.
»Nehmen Sie nur, nehmen Sie nur«, ermunterte mich Herr Singer. »Wir sind versichert.«
Wie ich von ihm erfuhr, hatten erst in der Vorwoche zwei kleine Mädchen die Bankfiliale in Jaffa ausgeraubt, und deren Leiter hatte Singer gewarnt, daß seine Filiale als nächste drankäme. Seither hätte Singer immer eine größere Menge Bargeld in der Kasse. »Das gehört zum Kundendienst«, sagte er nicht ohne Stolz. »Wir haben inzwischen gewisse
Verhaltensmaßnahmen ausgearbeitet, nach denen sich auch unsere Kunden richten. Es läuft wie am Schnürchen.«
Tatsächlich, die Besucher waren mittlerweile in Deckung gegangen, lagen flach auf dem Boden und wurden dort von den Beamten bedient. Nachher krochen sie auf allen vieren zum Ausgang. Andere kamen auf allen vieren herein.
»Früher einmal«, erklärte mir Herr Singer, »liefen Banküberfälle noch nach dem klassischen Muster ab. Die Eindringlinge waren maskiert, gaben Schreckschüsse ab, brüllten und drohten. Heute geht das alles viel nüchterner vor sich, und unsere Banken unterstützen dieses vereinfachte Verfahren. Erst vor wenigen Tagen wurde die Barkley-Bank von zwei Männern, die nur mit einem Schraubenzieher bewaffnet waren, um 100 000 Schekel erleichtert, und in der Leumi-Bank in der Stadtmitte wurde dem Schalterbeamten nur noch ein Eislutscher vorgehalten. Gestern erschien eine Anzeige der Diskont-Bank in Haifa mit der Aufforderung an die Bankräuber, während der Sommermonate ihre Überfälle nur Montag, Mittwoch und Donnerstag durchzuführen.«
»Nieder mit der Bürokratie«, warf ich ein.
»Sie sehen das falsch«, entgegnete Singer. »Es ist eine großartige Entwicklung, von der die Gründer des jüdischen Staates nicht zu träumen gewagt hätten. Jetzt haben auch wir unsere Kriminellen. Jetzt sind wir endlich ein normales Volk. Batja«, wandte er sich an seine Sekretärin, »haben Sie die Polizei angerufen?«
»Ja«, antwortete Batja und wechselte ihren Kaugummi. »Aber es ist besetzt.«
»Dann lassen Sie's«, sagte Singer.
Während ich das vor mir liegende Geld zählte, fragte
ich Singer, wieso es hier keine Alarmanlage gäbe. Wegen des Lärms, erklärte er mir. In der Rothschild-Bank hatte neulich während des Raubüberfalls die Anlage eine volle Stunde lang geschrillt, und der Lärm hätte schwere Nervenschäden bei den gefesselten Angestellten ausgelöst.
»Und wo sind Ihre Sicherheitsbeamten?« fragte ich weiter.
»Irgendwo draußen. Um diese Zeit führen sie die Hündin unseres Generaldirektors spazieren.«
Inzwischen hatte der Kassierer die Notenbündel in zwei kleine Köfferchen verpackt, und Singer fragte mich, wo ich mein gestohlenes Fluchtauto geparkt hätte.
*
Auf der Straße umringten mich die wartenden Passanten, die unbedingt Schnappschüsse von mir machen wollten. Sie baten mich, mein Gesicht doch wenigstens mit einem Taschentuch zu maskieren und nicht so dumm zu grinsen. Ein Mädchen bat mich um ein signiertes Foto, aber ich hatte keines bei mir.
Am Ende der Straße waren zwei Polizisten damit beschäftigt, meinem Auto einen Strafzettel hinter den Scheibenwischer zu stecken. Ich lief mit Singer hin und protestierte, aber sie blieben hart:
»Sie haben vor der Autobushaltestelle geparkt«, argumentierten die Polizisten und verlangten meine Papiere.
»Entschuldigen Sie«, half mir Singer, »aber mit fünf Meter Abstand ist Parken doch erlaubt.« »Herr«, wies ihn einer der Polizisten zurecht, »Sie sind nicht die Bibel.«
Ich
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