Der Blaumilchkanal
folgenden Reportage aus dem Himmel nachzulesen ist.
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DAS SIEBENTE JAHR ODER VERSTECKSPIEL IN DEN WOLKEN
Die himmlischen Regionen lagen in strahlendem Licht. Überall herrschte majestätische Ruhe. Gott der Herr saß auf Seinem Wolkenthron und lächelte zufrieden, wie immer, wenn alles nach Seinen Wünschen ging.
Einer der Himmelsbeamten, ein nervöser kleiner Kerl mit schütterem Spitzbart, bat um einen Termin.
»Allmächtiger Weltenherr«, begann er. »Verzeih die Störung...«
»Was gibt's?«
»Es handelt sich schon wieder um Israel.«
»Ich weiß.« Gott machte eine resignierte Handbewegung. »Die unreinen Fleischkonserven aus England.« »Wenn es nur das wäre. Aber sie bearbeiten das Land. Auch in den Kibbuzim der religiösen Parteien.«
»Sollen nur arbeiten. Es wird ihnen nicht schaden.«
»Herr der Welt«, sagte der Beamte und hob beschwörend die Hände. »Heuer ist ein Schmitta-Jahr, ein siebentes Jahr, Herr, ein Jahr, in dem alle Landarbeit zu ruhen hat, auf daß Dein Wille geschehe.«
Der Herr der Welt schloß nachdenklich die Augen. Dann widerhallte Seine Stimme durch den Weltenraum:
»Ich verstehe. Sie bearbeiten das Land, das Ich ihnen gegeben habe, auch im Jahr der Sabbatruhe. Sie mißachten Meine Gebote. Das sieht ihnen ähnlich. Wo ist Bunzl?« Geschäftiges Durcheinander entstand. Himmlische Boten flogen in alle Richtungen, um Ausschau zu halten nach dem Vertreter der Orthodoxen Partei Israels im Himmel, Isidor Bunzl, geborener Preßburger. Blitze das All. Bunzl kam angerannt. Sein Geflatterte hinter ihm her.
»Warum bebaut ihr euer Land in einem siebenten Jahr?« donnerte der Herr. »Antworte!« Isidor Bunzl senkte demütig den Kopf: »Adonai Ze-haoth, wir bebauen unser Land nicht. Wir besitzen gar Land in Israel.«
»Sprich keinen Unsinn. Was ist los mit eurem Land?«
»Es wurde vom Rabbinat an einen Araber verkauft. Alles Land. In ganz Israel befindet sich derzeit kein Land in jüdischen Händen. Deshalb können wir unser Land auch nicht bebauen.« Das Antlitz des Herrn verfinsterte sich:
»An einen Araber verkauft? Ganz Israel? Unerhört! Wo ist Mein Rechtsberater?«
Im nächsten Augenblick schwebte Dr. Siegbert Kro-toschiner herbei: »Herr der Heerscharen«, begann er seine Erklärung, »die Situation ist rechtlich völlig klar. Das Ministerium für religiöse Angelegenheiten hat auf Grund einer Vollmacht, die ihm vom Landwirtschaftsministerium erteilt wurde, das gesamte israelische Ackerland für die Dauer eines Jahres an einen Araber verkauft. Die Vertragsunterzeichnung erfolgte in Jerusalem, im Beisein von Vertretern der Regierung und des Rabbinats.«
»Und warum verkauft man das Land ausgerechnet in einem Schmitta-Jahr?« Die Stirne des Herrn legte sich in tiefe Furchen. »Und ausgerechnet für die Dauer eines Jahres? Alles Land? An einen Araber? Sehr merkwürdig.«
»Die Beteiligten haben den Vertrag ordnungsgemäß gezeichnet und gesiegelt und in einem Banksafe deponiert«, erläuterte Dr. Krotoschiner. »Er ist juristisch unanfechtbar.«
»Wurde das Schofar geblasen?« fragte Gott der Herr.
»Selbstverständlich«, beruhigte Ihn Isidor Bunzl. »Selb stverständlich.«
Gott der Herr war noch nicht überzeugt. Sturmwolken zogen auf, ein paar Engel begannen zu zittern.
»Mir gefällt das alles nicht«, sprach der Herr. »Nach Meinem Gebot soll das Land in jedem siebenten Jahr ruhen, und es ruhe auch der, welcher es bebaut. Nie habe Ich gesagt, daß dieses Gebot auf verkauftes Land nicht anzuwenden ist.«
»Verzeih, Allmächtiger«, Isidor Bunzl warf sich dem Herrn zu Füßen. »Schlage mich, wenn Du willst, mit starker Hand, aber in dieser Sache kenne ich mich besser aus als Du. Es steht ausdrücklich geschrieben ...«
»Was steht ausdrücklich geschrieben?« unterbrach ihn zürnend der Herr. »Ich möchte das Protokoll sehen!«
»Moses, Moses!« schallte es durch den Raum.
Der Gerufene erschien unter Sphärenklängen, die fünf Protokollbücher unterm Arm. Freundlich nickte der Herr ihm zu.
»Lies Mir die diesbezügliche Stelle vor, Mein Freund.«
Schon nach kurzem Blättern hatte Moses die Stelle gefunden: »In meinem dritten Buch, Kapitel 25, Absatz 2, 3 und 4, heißt es wie folgt: >Rede mit den Kindern Israels, und sprich zu ihnen: Wenn ihr in das Land kommt, das ich euch geben werde, so soll das Land dem Herrn die Feier halten.<«
»Da habt ihr's«, Gott blickte triumphierend in die Runde. »Ich wußte es ja.«
»Sechs
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