Der Blaumilchkanal
bleiben .. . Ich werde dich nie verlassen...
(nimmt ihr das Taschentuch wieder weg und schneuzt sich) Nie ...
Sie: O nein, ich will dich nicht beeinflussen...
Er: Ich bin nicht beeinflußt... Es ist mein freier Wil le...
Sie: Gut, wenn das so ist. Aber ich will dich nicht zwingen. Sag, zwinge ich dich?
Er: Nein...
Sie: Ja, du mußt dich selbst entscheiden... Komm mein Sohn... Gehen wir nach Hause ...
Er: Ja, Sabine ... Entschuldige, Mutter ...
Sie: Komm, gehen wir... Du bist ein braver Junge ... ein sehr braver Junge .. .
Er (führt seine alte Mutter hinaus. Sie stützt sich auf seinen Arm, ihr Schritt ist unsicher) : Vorsicht... langsam ... immer nur hübsch vorsichtig ... einen Fuß vor den anderen ... gut so Mutti, schön...
Das Vierte Gebot muß man genau unter die Lupe nehmen. Hier geht es um Nuancen. Es heißt nämlich: »Du sollst« Papi und Mami ehren, nicht: »Du mußt«. Meine aufgeweckten Sprößlinge entdeckten diesen kleinen Unterschied sehr früh und entwickelten zu ihrem Vater ein Verhältnis, das Moses besser nicht zu Ohren kommen sollte.
Renana, meine rothaarige Tochter, hat in dieser Beziehung Spitzenleistungen erbracht. Sie stellte alle Bibelgesetze auf den Kopf und entschied, daß Eltern für die Sünden ihrer Kinder bis ins vierte Geschlecht zu büßen hätten.
Das läßt sich am besten an einer Schlüsselgeschichte erläutern. Es ging nämlich um Autoschlüssel, die sich Renana bis Mitternacht ausgeborgt hatte und die sie auch, verläßlich wie sie ist, auf die Minute genau zurückgab. Leider ohne Auto.
Sie hatte nämlich vergessen, die Türen zuzusperren, um den Beginn von »Batman II« nicht zu versäumen. Teile meines Wagens wurden am nächsten Tag auf einem Schrottplatz bei Jericho gefunden, und die Versicherung zahlte auch für die Teile, die nicht gefunden wurden, aber ich war wütend und hielt mit meiner Empörung nicht hinter dem Berg.
»Was willst du von mir?« antwortete das reizende Kind. »Was kann ich denn für vererbte Eigenschaften. Es sind doch schließlich Deine Gene?«
»Aber das ist der Gipfel der Schlamperei«, regte ich mich auf. »Eine unglaubliche Fahrlässigkeit!«
»Was du nicht sagst«, antwortete Renana trocken. »Deine Selbstkritik wird dich noch weit bringen.«
So lernte ich auf schmerzhafte Weise, daß man Kinder nicht mit kleinkarierten Dingen quälen darf. Sonst werden sie aggressiv und pfeifen auf das Vierte Gebot. Und wie schädlich elterliche Haarspalterei sein kann, zeigt folgende Kriegsberichterstattung.
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DISZIPLIN FÄNGT BEI DEN ELTERN AN
Der vorletzte unserer leider so zahlreichen Kriege, der vor einem runden Dutzend Jahre stattfand, hinterließ bei meinem halbwüchsigen Sohn Amir deutliche Spuren. Unter dem Eindruck der historischen Ereignisse weigerte sich das aufgeweckte Kind zum Beispiel, fortan seine Zähne zu putzen. Auch den Friseurbesuch lerui-te es mit dem überzeugenden Argument ab, in einer Zeit in der unsere tapferen Krieger für uns kämpften, dürfe man sich nicht mit solchen Lappalien beschäftigen. Der völlige Verzicht auf Mundhygiene beunruhigte uns nicht sehr, denn auch Gelb ist eine hübsche Farbe. Was aber die rote Mähne unseres Sprößlings betraf, so ließ sich der Pony, unter dem er mühsam hervorblinzelte, eigentlich nur mit dem eines reinrassigen Hirtenhundes in der Wintersaison vergleichen. Während jedoch Hunde die schlechte Sicht durch ihren Geruchssinn ausgleichen, tapste unser Sohn wie blind herum.
»Ephraim«, sagte die beste Ehefrau von allen, »dein Sohn sieht bereits aus wie Mowgli aus dem >Dschungelbuch<, als er von den Wölfen großgezogen wurde.«
Der kleine Wolf aber hatte unumstößliche ideologische Prinzipien: Kein Frieden - kein Haarschnitt. Ich schlug ihm eine Alternative vor: Haarschneiden bis zum Kriegsende, kein Friseurbesuch mehr nach Friedensschluß mit dem Irak. Amir aber war nicht zu erschüttern. Die beste Mami und ich standen vor einer schwierigen Entscheidung. Einerseits wollten wir aus pädagogischen Gründen den Willen des zarten Kindes nicht brechen, denn er schlägt zurück, andererseits lehnen wir einen Penner in der Familie ab.
Bereits vor dem Jom-Kippur-Krieg war es mit Amir nicht leicht gewesen. Wenn ich mich nicht irre, hatte Amir schon im Alter von sechs Jahren, ganz in der Tradition der weltweiten Anti-Alles-Bewegung, eine innere Abscheu gegen jede Art von Scheren. Das ging soweit, daß er um jede Locke, die von seinem Köpfchen fiel,
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