Der Blaumilchkanal
in einer ziemlich engen Wohnung hauste. Sie bestand aus Vätern und Müttern, Kindern und Enkeln und einem Großvater. Sie alle lebten glücklich und in Eintracht, obwohl Großvater schon 529 Jahre alt war und einige Macken hatte, die in diesem Alter jedoch nicht ungewöhnlich sind.
Großvater hatte zum Beispiel ein Zimmer, in das niemand hineindurfte. Deshalb war dieses Zimmer in den letzten 200 Jahren auch nicht mehr sauber gemacht worden. Auch die Fensterläden waren immer geschlossen. Großvater fühlte sich eben nur in seinem dunklen Kämmerchen wohl. Mühsam war nur, daß er auch von den anderen Familienmitgliedern verlangte, die Fensterläden vor der verdammten Sonne zu schließen, die sich seiner Meinung nach nicht nur um die Erde drehte, sondern auch die Nacht verkürzte. Er verbot auch elektrischen Strom im Hause, denn Großvater hatte schließlich anno 1465 das Licht der Welt erblickt, und damals war Kerzenlicht in Mode gewesen.
Die Familie litt schwer unter Großvater, aber niemand wagte, ihm zu widersprechen, da der kleinere, erst 400jährige Bruder Großvaters immer ein wenig Geld aus dem Ausland schickte.
Man tröstete sich: »Nur Geduld. Wir sind jung, er ist alt. Irgendwann wird uns Großvater ja doch einmal, Gott behüte, verlassen.«
Nein, es war nicht einfach, mit Großvater auszukommen. Er hatte recht sonderbare Ansichten, und war man damit nicht einverstanden, so fluchte er ganz schrecklich, zertrümmerte Fensterscheiben und verbrannte die Möbel. Er verbot der Familie auch Kartoffeln zu essen, da sie in seiner Jugend noch nicht entdeckt worden waren. Und er verlangte, daß bei Regen niemand auf die Straße gehen dürfe, damit die Regenschirme nicht naß würden. Viele Familienmitglieder, gelobt sei ihr Andenken, hatten sich lebenslang getröstet: »Wozu mit ihm streiten, die Zeit arbeitet für uns ...«
Kürzlich erst ordnete Großvater an, seine Urenkel in Einmachgläsern aufwachsen zu lassen, damit sie nicht zu groß würden und sich etwa den Kopf am Türrahmen stießen. Als die Eltern dagegen protestierten, schickte Großvater seinem kleinen Bruder ein Fax und informierte ihn über den Familienaufstand. Der Bruder stellte sofort die Zahlungen ein und verlangte eine umgehende Rückzahlung aller bisherigen Überweisungen. Die Familie verzweifelte jedoch nicht. »Wozu mit Großvater streiten?« sagten sie. »Dann ziehen wir eben eine Generation in Einmachgläsern auf. Irgendwann wird er ja doch einmal das Zeitliche segnen.«
Und sie sitzen noch immer im Dunkeln, essen heimlich Kartoffeln, ziehen Kinder in Einmachgläsern auf und warten und warten und warten ...
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Kein Zweifel, hier haben wir es mit dem elementarsten, ja mit dem unerläßlichsten Gebot zu tun, das Moses erlassen hat. Ohne das Fünfte Gebot wäre das Überleben der menschlichen Rasse vermutlich in Frage gestellt worden, denn Onkel Kains Erben lernten überraschend schnell, wie praktisch Töten ist, wenn jemand .eine andere Meinung hat. Wie weise war Gott doch, dieses Gebot als das fünfte in die Mitte zu stellen, um so seine Hauptrolle in der Geschichte der Menschheit zu unterstreichen.
Ein Glück nur, daß der Herr nicht ins Kino geht. Aber um diese Tatsache wirklich schätzen zu können, muß man weiterlesen.
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SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD
Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle. Soeben mache ich einen Abenteuerfilm, betitelt »Wo sich die Adler paaren«. Es ist eine der kühnsten Unternehmungen in der Geschichte unserer Filmindustrie, geschrieben und inszeniert von mir, finanziert durch eine Regierungssubvention. Die Handlung beruht auf einer wahren Geschichte aus meiner Phantasie. Ein israelischer Kommandotrupp sprengt die Raketenbasis von Tanger und kehrt ohne Verluste ins Atelier zurück, was gar nicht so einfach ist, denn die Schauspieler müssen
Ägypten Libyen und Algerien zu Fuß durchqueren. Aber dafür zahle ich ihnen ja auch ein Vermögen.
Bei den ersten Szenen ging alles glatt. Der Kommandant des Kommandotrupps, Jarden Podmanitzki in der Rolle des grimmigen Grischka, rief seine Leute zusammen und führte sie durch die Sahara, für die der Kibbuz Ejn-Schachar im Negev als Double einsprang. Am vierten Tag kam Podmanitzki vor meiner Hütte an, trat ein und sagte:
»Morgen muß ich nach Tel Aviv zurück.«
»Verrückt geworden?« fragte ich. »Sie sind der Kommandant. Morgen geraten Sie in einen feindlichen Hinterhalt, das wissen Sie doch.«
»Tut
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