Der Blaumilchkanal
mir leid. Die Sekretärin der Theaterdirektion hat vorhin eigens angerufen. Wir beginnen morgen mit den Proben zu >Hamlet<. Ich spiele den Geist des Vaters. Auf diese Rolle habe ich ein Leben lang gewartet.«
»Sie wollen also kontraktbrüchig werden?«
»Ich will nicht, ich muß. Ich bin Mitglied eines Kollektivs. Wenn ich kann, komme ich wieder. Alles Gute.«
Damit entfernte er sich in nördlicher Richtung.
Ich beschloß, die Dreharbeiten planmäßig weiterzuführen und nur in den Dialog einen Satz einzufügen, eine kurze Erklärung für das plötzliche Verschwinden des Truppenkommandanten wegen der »Hamlet-Proben. Der Dialog fand zwischen einem Sergeanten namens Trippoli und dem Funker statt.
Funker: »Wir nähern uns Tanger. Aber Grischka ist nirgends zu sehen. Wo steckt er?« Sergeant Trippoli (mit vielsagendem Lächeln): »Er wird rechtzeitig da sein, verlaß dich auf ihn ...«
Leider konnte man sich nicht auf ihn verlassen. Noch der Nacht rief Podmanitzki mich an. Das Kollektiv hatte eine zusätzliche Rolle für ihn erarbeitet, und zwar den Geist des Großvaters, für die er den Text selbst schreiben sollte. Damit hatte er das Wochenende über zu tun.
»Podmanitzki«, sagte ich, »Sie sind entlassen.«
Er wollte noch wissen, welche Abfindung ich ihm zahlen würde, aber ich ließ mich auf keine Diskussion ein und legte auf.
Meine Lage war selbst für nahöstliche Begriffe schwierig. Laut Drehbuch sollte die ganze Einheit ohne Verluste zurückkehren, aber als ich es schrieb, hatte ich nicht mit »Hamlet« gerechnet.
Es gab nur eine einzige Lösung, Grischka mußte sterben. Um seinen Tod künstlerisch zu gestalten, forderte ich bei der Requisite einen jüngeren Aasgeier an, der schaurig krächzend in den Lüften kreisen und dann herunterstoßen sollte.
Podmanitzkis Tod wurde vom Sergeanten Trippoli mit einem neuen Text gemeldet:
»Sie haben Grischka getötet, das werden sie teuer bezahlen!«
Und dazu hob er wie zum Schwur seine nervige Rechte.
Dann setzte der Kommandotrupp den vorgesehenen Weg durch die Wüste fort, geführt von Zipi Weinstein als der Tochter des Beduinenscheichs, die sich ursprünglich in Grischka und jetzt nach seinem Heldentod in Sergeant Trippoli verlieben sollte. Der Trupp durchquerte die Sahara und war erschöpft, aber mit ungeminderter Kampfeslust soeben im Kibbuz angekommen, als auf einem Sandhügel Grischka erschien und uns zurief:
»Das Ganze halt! Der Regisseur hat Grippe! Ich bin bis Dienstag beurlaubt!«
»Ihr Pech, Podmanitzki«, rief ich zurück. »Sie sind gestern gefallen. Der Aasgeier ist schon bestellt.«
Dann fiel mir ein, daß Podmanitzki für diesen Film eine enorme Gage bekam und daß es reine Geldverschwendung wäre, ihn nicht voll einzusetzen. Da sein Tod bereits abgedreht war, entschied ich, er sollte auch für uns einen Geist spielen, der das Lagerfeuer seiner einstigen Kameraden umschwebt und ihnen den richtigen Weg durch die Sahara zeigt.
Im übrigen war Podmanitzki genau im richtigen Augenblick eingetroffen, denn Trippoli war noch nicht aus Eilat zurück. Er war der Publikumsliebling und spielte immer gleichzeitig in mindestens drei Filmen mit. Augenblicklich begann er seine Tätigkeit kurz vor Mitternacht in Galiläa, traf in der Morgendämmerung bei uns ein, drehte bis Mittag und wurde dann vom Jeep eines amerikanischen Fernsehteams nach Eilat abgeholt, wo er bis Mitternacht vor der Kamera stand. Heute war er auf dem Weg von Galiläa zu uns abhanden gekommen, vielleicht eingeschlafen oder von Beduinen entführt worden, wer konnte das wissen. Jedenfalls mußte ich ihn töten.
Ein Mitglied der Kommandoeinheit, im Hauptberuf Kuhhirt und vom Kibbuz zur Verfügung gestellt, übernahm die Aufklärung:
»Leute«, sagte er mit gepreßter Stimme, »Sergeant Trippoli ist gefallen.«
»Er hat unsern Rückzug gedeckt«, ergänzte ein anderer in Großaufnahme. »Er ganz allein. Er hat bis zur letzten Kugel gekämpft.«
Erst jetzt fiel mir auf, daß ich nach Grischkas und Trippolis tödlichem Abgang keinen einzigen bekannten Schauspieler mehr in der Produktion hatte. Aber dagegen ließ sich nichts mehr machen.
Die nächste Szene war sehr wirkungsvoll. Zipi Weinstein trat hinter einem Sandhügel hervor und stellte sich den Soldaten in den Weg: »Ich übernehme die Führung«, sagte sie in militärisch knappem Ton. »Mir nach!«
Damit war das Kommandoproblem provisorisch gelöst, nicht aber das Problem ihres Vaters, des edlen Beduinenscheichs. Kurz
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