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Der Blaumilchkanal

Der Blaumilchkanal

Titel: Der Blaumilchkanal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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trauerte, als war's die letzte. Auch Marathoneinkäufe im Spielzeugladen halfen schließlich nicht mehr.
    »Der Sohn eines Schriftstellers«, sagte seine Mutter mit erhobenem Zeigefinger, »muß kurze Haare tragen.«
    »Warum?« fragte Amir zu Recht.
    Wie ein Todeskandidat saß Amir dann beim Friseur, und der waidwunde Blick seiner großen Augen wird uns Zeit unseres Lebens verfolgen. Ein wenig entschädigte uns, daß er, als er vom Folterstuhl stieg, zum ersten Mal wieder einem normalen Kind ähnelte. Vor der Tür aber kehrte Amir noch einmal um und trat dem Friseur zweimal kräftig gegen das Schienbein. Wir hielten uns raus.
    *
    Und dann kommt dieser Krieg.
    Die Fernsehberichte kamen Amir wie gerufen. Siegestrunken deutete er auf die Soldaten: »Seht ihr, die waren auch nicht beim Friseur!«
    Das konnten wir leider nicht abstreiten, denn selten wurde ein Krieg von derart langhaarigen Soldaten geführt. Es lag sicher an der Eile, mit der man unsere Reservisten eingezogen hatte. Die wilden Haarbüschel quollen unter den Helmen unserer tapferen Kämpfer hervor, ohne Rücksicht auf die geplagten Eltern Amirs, ganz zu schweigen davon, daß die blutjungen Samsons auch völlig unrasiert im Fernsehen auftraten. Kein Wunder, daß das Kind beeindruckt war. Mein Schwiegervater versuchte, wirtschaftliche Repressalien einzusetzen: »Wenn du dir die Haare nur ein bißchen schneiden läßt«, wollte er seinen Enkel überreden, »kaufe ich dir ein Tierlexikon.«
    »Nein«, antwortete Amir, »ich will die Haare.«
    Wir legten ein Fahrrad oben drauf. Das Kind zögerte einen kleinen Augenblick und entschied dann in unsere atemlose Spannung hinein:
    »Kommt nicht in Frage.«
    Die Lage war ernst.
    »Diesmal wird er kämpfen«, prophezeite die Beste. Sie behielt wieder einmal recht. Als wir ihn mit der tatkräftigen Unterstützung meines Schwagers auf dem Badezimmerhocker festbinden wollten, lieferte das zerbrechliche Kind einen verzweifelten Kampf und schaffte es, uns mit seinem haarsträubenden Gebrüll zu vertreiben. Immerhin war der erste Schritt getan, denn wir hatten es ihm endlich einmal gezeigt oder es zumindest probiert.
    Nach dem Vorfall im Badezimmer provozierte uns Amir, wo er konnte. Er kämmte sich die Locken in die Augen und verkroch sich stundenlang im Schrank. Ich versuchte ein versöhnendes Gespräch von Familienvater zu minderjährigem Sohn:
    »Warum läßt du dir die Haare nicht schneiden, mein Liebling?«
    »Weil ich sie lang will.«
    »Warum?«
    »Weil der liebe Gott es so möchte.«
    »Dann bist du wohl auch dafür, die Fingernägel wachsen zu lassen?«
    »Natürlich. Schließlich ist Krieg.«
    »Wenn du die Haare so lang trägst« nahm ich einen neuen Anlauf, »werden die Leute glauben, du bist ein Mädchen.«
    »Na und?« »Du bist aber doch ein Junge.«
    »Muß ich dafür bestraft werden?«
    Das Gespräch war nicht sehr aufschlußreich.
    Die Beste und ich verzogen uns in die Küche und entschieden uns für den letzten Ausweg, Narkose: Eine durchaus natürliche Lösung, die auch vom Logistischen her einleuchtete: Papi packt Amir von hinten und hält jjm fest in seinen Armen, während Mami dem aufgeweckten Kind ein mit Äther getränktes Tuch auf Naschen und Mündchen preßt. Danach bleiben uns zehn Minuten, das Werk mit der Schere zu vollenden. Man könnte ihm bei dieser Gelegenheit auch die Zähne putzen oder frische Socken anziehen. Mal sehen. Schließlich sind wir im Krieg.
    Amir, der hochintelligente Sprößling, roch die Gefahr. Er schlich nur mehr an der Wand entlang durchs Haus. Vielleicht war er bewaffnet. Die Entscheidung würde in den nächsten Tagen fallen. Noch war alles offen ...
    *
    Inzwischen aber sind die Jahre ins Land gegangen, und der Frieden mit unseren Nachbarn steht hoffentlich vor der Tür. Vorgestern klagte der Physiker Dr. Amir Kishon darüber, daß ihm die Haare so stark ausgehen.

    Man kann nicht umhin festzustellen, daß im Vierten Gebot immer nur von Vater und Mutter die Rede ist. Als ob es keine Großeltern gäbe. Dabei hat doch jeder Vater selbst mindestens ein oder zwei Väter. Sonst gäbe es ihn schließlich nicht.
    Großeltern sind ein wichtiges Glied in der Familienkette und garantieren, daß die längst vergessenen Uralttraditionen nicht untergehen. Darum auch ihnen alle Ehre, wie es das Vierte Gebot befiehlt, auch wenn wir selbst dabei untergehen.

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DER ARCHAISCHE GROSSVATER ODER SCHONZEIT FÜR REGENSCHIRME
    Es war einmal eine Großfamilie, die

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