Der Blaumilchkanal
wundert mich nicht, daß die Adams ausgezogen sind.«
Der Garten Eden fand also keine neuen Mieter, verlor nach und nach seinen paradiesischen Charme und geriet in einen desolaten Zustand. Von seinen einstigen Mietern ist nur die Schlange übriggeblieben, die, wie schon erwähnt, nicht vertrieben wurde und dort ihre Sünden abbüßt.
Als Moses beschloß, das Begehren des Hauses in die Liste der wichtigsten Verbote aufzunehmen, hat er alles bedacht, nur nicht die Militärparade, die jedes Jahr vor meinem Haus vorbeimarschiert.
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ACHTUNG BEULENPEST ODER EIN PARADEFALL VON MASSENNEID
Am frühen Morgen des Unabhängigkeitstages, kurz nach 5 Uhr, holte mich das schrille Klingeln des Telefons aus dem Bett.
»Hallo Josske«, ließ sich eine zutrauliche Stimme am anderen Ende des Drahts vernehmen. »Hab' dich schon lange nicht gesehen. Wie geht's denn immer?«
»Danke, gut«, gähnte ich. »Und wie geht's selbst?«
»Recht gut. Eigentlich eine Schande, daß wir nie mehr zusammenkommen, Josske.« »Eigentlich ja. Aber ich heiße nicht Josske. Mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Das fragst du noch? Hier ist Mischa. Erinnerst du dich nicht? Ich bin mit deinem Bruder in die Schule gegangen.«
Nach und nach ergab sich eine gemeinsame Basis, und Mischa versprach, mich um 10 Uhr 30 zu einem gemütlichen Plausch zu besuchen. Ich bat meine Frau, für den Schulfreund meines Bruders einen kleinen Imbiß vorzubereiten.
Sie erfahre erst jetzt, daß ich einen Brüder habe, sagte meine Frau.
Ich war zu verwirrt, um der Sache nachzugehen. Und meine Verwirrung wuchs, als es um 6 Uhr an der Tür klingelte. Draußen stand die Familie Grünspan aus dem Süden mit allen drei Kindern und deren Spielgefährten. Auch das Stubenmädchen hatten sie mitgebracht. Auch das Stubenmädchen hatte ein Kind.
»Wir wollten euch schon längst einmal besuchen«, erklärte die Familie Grünspan. »Aber es ist immer etwas dazwischengekommen. Heute hat's endlich geklappt.«
Sie wollten uns auch überhaupt keine Umstände machen. Sie wollten nur ein wenig frische Luft schnappen, auf dem Balkon, wo sie sich entlang des Geländers niederließen.
In den nächsten zwei Stunden riefen mich 117 frühere Schulkollegen an und erkundigten sich nach meiner Gesundheit. Jetzt begriff ich, warum die unter uns wohnende Familie Bialazurkewitsch vor zwei Tagen ihre Wohnung verlassen und an der Tür ein Schild mit der Aufschrift: »Achtung, Gefahr von schwarzer Beulenpest!« angebracht hatte.
Um 8 Uhr 30 schalteten wir das Telefon ab.
Bald darauf erschien ein junger Mann mit einem herzlichen Empfehlungsschreiben von Frau Pomeranz, in dem sie uns bat, ihren Neffen, den sie wie einen Sohn liebte, von unserem Balkon aus die Parade mitansehen zu lassen. Es war das erstemal, daß man uns um derartiges bat, und ich empfand es als große Ehre, obwohl ich keine Frau Pomeranz kannte.
Nachdem der junge Mann es sich gemütlich gemacht hatte, beschlossen wir, niemanden mehr hereinzulassen. Mischa konnte natürlich kommen, schon meinem Bruder zuliebe, aber dann war Schluß. Höchstens für unsere Verwandten würden wir noch eine Ausnahme machen. Und für den Besitzer des Fleischerladens mit Frau und Kindern. Von dem waren wir ja in gewissem Sinn abhängig. Dem Milchmann hingegen machte ich energisch klar, daß er seine Verwandten nicht mitbringen dürfe, nur seine Eltern.
Da der Balkon bereits überfüllt war, wurden Tische und Stühle zu den Fenstern geschoben und pyramidenförmig angeordnet.
Ein anhaltendes Surren des abgeschalteten Telefons zwang mich, den Hörer abzunehmen. »Hier ist die Störung. Ist mit Ihrem Apparat etwas nicht in Ordnung?«
»Ich habe ihn nur abgeschaltet, das ist alles.«
»Wir müssen trotzdem nachprüfen. Bitte achten Sie darauf, daß um 10 Uhr 30 jemand zu Hause ist.«
Nach diesem Gespräch bat ich unseren mittlerweile eingetroffenen Hausarzt, den schweren Kleiderschrank nicht zum Fenster zu schieben, aber er sagte, daß ihm das überhaupt keine Mühe mache.
Um 10 Uhr wurde die Tür eingedrückt. Eine Reihe junger Menschen, die sich als Schulkollegen meines Sohnes bezeichneten, stürmten herein, legten die Bücherregale auf den Boden, um an Sicht zu gewinnen und stellten die noch vorhandenen Stühle auf das Klavier. Auf meine vorwurfsvolle Frage, warum er denn gleich die ganze Schule eingeladen hätte, antwortete mein Sohn, er kenne keinen einzigen. Mein Sohn war acht Jahre alt, das Durchschnittsalter der
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