Der Blaumilchkanal
Erschaffung der Welt. Ja, sogar Gott wird in der Heiligen Schrift als neidischer Gott bezeichnet.
Der Talmud selbst nennt in einem eigenen Kapitel die Schriftsteller als die größten Neider. Hier wird zum ersten Mal der Begriff »Schriftstellerneid« eingeführt, und ich gestehe, auch ich bin nicht frei davon. Da hilft mir auch der Prophet Jesaja nicht weiter, der mich im elften Kapitel seines Buches mit den Worten: »Und der Neid Ephraims wird aufhören« zu beruhigen versuchte, obwohl wir uns nie persönlich kennengelernt haben.
Mich bedrückt die Tatsache, daß der Neid inzwischen eine recht volkstümliche Verbreitung gefunden hat. Wenn in biblischen Zeiten noch der Streber Kain seinen Bruder Abel beneidete und Urvater Jakob den Erstgeborenensegen seines Herrn Papa begehrte, so ist heute ein Liftboy auf die IG Farben und unsere Zahnärztin auf Michael Jackson neidisch.
Man neidet dem anderen heute nicht nur sein Vermögen, sein Talent und seine Schönheit, sondern auch die Einladung zur Cocktailparty. Und nicht genug damit, daß man selbst zur Galavorstellung der Philharmoniker eingeladen wurde, spielt es eine ebenso große Rolle, daß der Nachbar keine Einladung bekommen hat.
Ich bin für Gebot Nummer Neun bestens gewappnet. Fragt mich zum Beispiel jemand: »Was. Sie haben keine Einladung zum Fünf-Uhr-Tee mit Placido Domingo«, dann antworte ich: »Ich kann leider nicht. Um 5 Uhr füttere ich unsere Delphine.«
Du sollst nicht neidisch sein, das sagt sich leicht. In jeder Theaterpremiere sitzen die Kollegen und beten inständig: »Bitte, lieber Gott, laß es einen spektakulären Reinfall werden.« Immer wieder stößt dann der Allmächtige einen tiefen Seufzer vor den Schutzengem aus: »Morgen habe Ich drei Premieren. Das wird wieder ein Tag!«
Das Neunte Gebot bezieht sich nur auf Häuser. Moses reihte zwar die Häuser unter alle anderen Neidobjekte im Zehnten Gebot ein, und auch Martin Luther ließ sie in seiner Übersetzung dort, aber später wurde der Neidkomplex, wie schon erwähnt, wegen seiner Vielfältigkeit in zwei Gebote getrennt, und wer bin ich, daß ich promovierten Theologen widersprechen dürfte?
Das Haus aber ist tatsächlich die Hauptsache, und Wohnungsprobleme sind nicht neu. Schon im Garten Eden tauchten Schwierigkeiten auf, als die ersten Mieter ausgezogen waren. Damals wurde am Eingang eine Tafel angebracht:
»Wegen Abreise der bisherigen Bewohner 1 Paradies zu vermieten.«
Es meldeten sich nur wenige Bewerber. Einer, mit einem dicken Weib im Schlepptau, erklärte nach oberflächlicher Besichtigung, daß sich bei jedem Regen unpassierbare Schmutzlachen bilden würden. Und im Winter würde man sicher frieren, er hätte keine Heizung entdecken können.
»Wie lange dauert es denn noch bis zur Erfindung des Feuers?« fragte er.
»Eine Million Jahre«, antwortete der Erzengel Gabriel.
Der Mietvertrag kam nicht zustande.
Er wäre sowieso nicht zustande gekommen, weil das dicke Weib allergisch gegen Vögel war: »Dieses ewige Gezwitscher vertrage ich nicht. Es bringt mich um den Verstand. Auch das Farbenarrangement mißfällt mir. Alles in Grün. Nirgends eine Spur von Beige oder Rosa. Nichts als Grün, Grün, Grün.«
Damit zog sie ihren Mann zum Ausgang.
»Wir könnten es ja mit Tapeten versuchen«, rief Gabriel hinter den beiden her.
Aber da waren sie schon verschwunden.
Als nächster kam Ingenieur Glick. Er inspizierte das Objekt mit gewohnter Gründlichkeit und schüttelte immer wieder den Kopf:
»Kein Kühlschrank, keine Klimaanlage, wie soll man's hier im Sommer aushalten?«
Der Erzengel machte sich erbötig, mit Gott dem Herrn über eine mögliche Neugestaltung der Jahreszeiten zu sprechen, aber Glick vermochte diesem Vorschlag nichts abzugewinnen, schon deshalb nicht, weil mittlerweile alles, was da kreuchet, an seinen Beinen hinaufzukreuchen begann. Ob man denn hier noch nichts von einem Insektenspray gehört hätte, fragte er. Doch, aber den könne man nicht verwenden, antwortete Gabriel entschuldigend. Wegen der Äpfel.
Ingenieur Glick ließ für alle Falle seine Adresse zurück und empfahl sich.
Die blonde Dame, die nach ihm am Eingang erschien, warf einen Blick in die Gegend und fragte, ob Hauspersonal zur Verfügung stünde. Gabriel bat sie mit verlegenem Lächeln, doch erst einmal weiterzugehen und auf einen Baum hinaufzuklettern, von dort hätte sie eine schone Aussicht. Die Dame lehnte ab:
»So ein riesiger Garten und keine Hilfskräfte! Nein, wirklich, es
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