Der bleiche König: Roman (German Edition)

Gruppenmanager wollen Stellvertretende Bezirksdirektoren werden, oder sie träumen davon, wieder als Steuerprüfer zu arbeiten, allein an einem Schreibtisch, wo einen keiner nervt. Alle Stellvertretenden Bezirksdirektoren wollen Bezirksdirektoren werden – hüten Sie sich vor denen, die das abstreiten. Manche Bezirksdirektoren wollen DRPZ s, DRKZ s oder Regionale Prüfkommissare werden, aber das sind alles politische Bestallungen, und Bezirksdirektoren können bestenfalls dafür sorgen, dass ihr Bezirksertrag echt gut aussieht, und hoffen, dass es jemand merkt. Ertrag ist das Verhältnis von Steuereinnahmen zu Bezirksausgaben. Der Reingewinn des Bezirks. Der Service-Code ist ganz einfach, wie die Stv. BD s sagen, wenn sie um den BD herumschleichen und Ränke schmieden: Kassieren oder Krepieren; Quote oder Tote; Liefern oder geliefert. Geliefert läuft in aller Regel auf Versetzungen in die Walachei hinaus.

§ 29
    »Ich hab nur eine echte Geschichte über Scheiße. Aber die ist dafür voll die Härte.«
    »Warum Scheiße?«
    »Was hat das mit Scheiße bloß auf sich? Wir sind abgestoßen und zugleich fasziniert.«
    »Ich bin nicht fasziniert, das kann ich dir flüstern.«
    »Das ist wie bei einem Autounfall; man kann einfach nicht wegsehen.«
    »Meine Lehrerin in der vierten Klasse hatte keine Wimpern. Mrs Dingenskirchen.«
    »Ich meine, ich langweil mich ja auch, aber warum Scheiße?«
    »Meine früheste Erinnerung an Scheiße ist die an Hundescheiße. Wisst ihr noch, was für eine mächtige Präsenz und Bedrohung Hundescheiße für Kinder hatte? Die war anscheinend allgegenwärtig. Jedes Mal, wenn man draußen spielte, trat jemand in einen Haufen, und dann blieb alles stehen, und es hieß quasi ›Okay, wer ist da reingetreten?‹ Alle mussten ihre Schuhe untersuchen, und prompt hatte jemand was unter der Sohle.«
    »In die Sohle eingetreten. Ins Profil.«
    »Unmöglich, abzukratzen.«
    »Frisch war sie immer feucht und gelb und scheußlich, am scheußlichsten. Aber alt war sie noch tiefer in die Sohle eingetreten. Man musste die Schuhe wegstellen, bis sie getrocknet war, und dann versuchen, sie mit einem Stöckchen oder einem rostigen alten Messer aus der Garage aus dem Sohlenprofil rauszukratzen.«
    »Wie spät ist es?«
    »Was sollen wir hier überhaupt sehen? Da kann doch jederzeit wer vorbeigehen.«
    »Aber man kriegte sie nie ganz raus. Kratz, kratz, kratz. Man musste die Sohle unter den Wasserhahn halten und versuchen, den Rest nass auszukratzen.«
    »In der Garage gab es immer alte Buttermesser und Kaffeedosen voller Schrauben und Nägel und Krimskrams aus Metall, wo keiner mehr wusste, wozu der gut war.«
    »Und wenn dann entdeckt wurde, wer sie am Schuh hatte, dann hatte derjenige eine Art schreckliche Macht.«
    »Mit dem wollte keiner mehr was zu tun haben, bis er sie abhatte.«
    »Der war sofort der Angeschmierte. Der Außenseiter.«
    »Als wäre das seine Schuld, wenn alle beim Football oder in der Pause gewesen waren, und irgendwer war vom Pech verfolgt und da reingetreten. Plötzlich war das, als wäre er nicht in Scheiße getreten , sondern Scheiße geworden .«
    »So wie Grausamkeit in einer Gruppe von Kindern wabert und wechselt, konnte man jede Sekunde zur Zielscheibe werden, alle wechselten immerzu die Positionen – wer eben noch grausam war, konnte in der nächsten Sekunde schon zur Zielscheibe der Grausamkeit anderer werden.«
    »Und in einer Gruppe, die Baseball spielte oder Dosen oder was durch die Gegend kickte, wo man vor Aufregung oder weil man keine Lust hatte, auch nur kurz aus dem Spiel auszusteigen, in die Hose pisste oder schiss, wurde man sofort zur Zielscheibe von Spott und Verachtung der anderen. Für den Rest des Lebens war man der Junge, der beim Bolzen in die Hose geschissen hatte, und nach ein, zwei Sprüchen wussten alle Bescheid, und auch noch Jahre später, und wenn’s die Schulabschlussfeier war, wussten alle, dass man der Junge war, der 1961 in die Hose geschissen hatte.«
    Alle schwiegen. Das Quietschen der Bandspulen war das einzige Geräusch. Im Nebel bekamen die Straßenlampen etwas Gespenstisches. Es war die vierte Stunde der dritten Schicht einer Vor-Ort-Überwachung von Peoria Hobby ’n Coin durch die Steuerfahndung. Kein Wind wehte; der Nebel hing einfach da.
    »Aber es verlieh einem Kind auch schreckliche Macht, wenn es mit Scheiße in Berührung gekommen war – man war der Angeschmierte, aber man konnte die Leute abstoßen, einfach indem man mit dem, was