Der bleiche König: Roman (German Edition)
Supermarkt, und Ihre Einkäufe werden eingegeben. Jede Ware hat natürlich ein eigenes Preisschild. Manchmal auf einem Klebeetikett auf der Ware selbst, manchmal wird in der Ecke zusätzlich der Großhandelspreis codiert – das können wir ein andermal besprechen. An der Kasse gibt die Kassiererin den Preis jedes einzelnen Lebensmittels ein, zählt alle zusammen, schlägt die Mehrwertsteuer drauf – keine progressive, das Beispiel ist von heute – und gelangt zur Gesamtsumme, die Sie dann bezahlen. Die Frage ist – was hat mehr Information, die Gesamtsumme oder die Aufstellung der zehn Einzelposten, wenn wir in dem Beispiel mal davon ausgehen, Sie hatten zehn Waren im Einkaufswagen. Auf den ersten Blick lautet die Antwort natürlich, dass die ganzen Einzelpreise weit mehr Informationen preisgeben als die eine einzige Zahl der Gesamtsumme. Nur sind diese Informationen größtenteils irrelevant. Wenn Sie jede Ware einzeln bezahlen würden, wäre das etwas anderes. Das tun Sie aber nicht. Die Einzelinformation über den Einzelpreis hat einen Wert nur im Kontext der Summe; in Wirklichkeit scheidet die Kassiererin also Informationen aus. Sie kommen doch mit einer Unmenge an Informationen an der Kasse an, und die Kassiererin hat ihr eigenes Verfahren, um zu der einen einzigen Information zu gelangen, die wirklich Wert hat – der Gesamtsumme zuzüglich Steuer.«
»Schminken Sie sich die Laienvorstellung ab, dass Information gut ist. Dass mehr Informationen besser sind. Das Telefonbuch enthält viele Informationen, aber wenn Sie eine bestimmte Nr. suchen, sind Ihnen 99,9 Prozent davon nur im Weg.«
»An und für sich ist Information nur ein Maß der Unordnung.« Bei diesem Satz ruckte Sylvanshines Kopf hoch.
»Die Funktion einer Verfahrensordnung ist es, die Informationen in Ihrem Dossier so weit zu verarbeiten und einzudampfen, dass nur wertvolle Informationen übrig bleiben.«
»Hinzu kommt der Aspekt optimaler Zeitnutzung. Sie werden nicht auf jedes Dossier gleich viel Zeit verwenden. Die meiste Zeit sollten Sie auf die Dossiers verwenden, die vielversprechend aussehen, weil sie die höchsten Nettoerträge abwerfen dürften.«
»Nettoerträge ist unser Begriff für die durch eine Revision zusätzlich erwirtschafteten Steuereinnahmen minus Revisionskosten.«
»Im Rahmen der Initiative werden Prüfer sowohl nach Maßgabe der erwirtschafteten Gesamtnettoerträge als auch nach dem Verhältnis dieser zusätzlichen Erträge zu den Gesamtkosten der zusätzlich in Auftrag gegebenen Revisionen evaluiert. Was halt weniger günstig ist.«
»Diese Verhältnisevaluierung soll verhindern, dass irgendein Spatzenhirn in der Hoffnung, seine Nettoerträge in die Höhe zu treiben, einfach bei jedem Dossier, das auf seinem Tingle landet, ein Memo 20 ausfüllt.« Cusk überlegte: Ein Prüfer, der überhaupt keine 20er Memos ausfüllte, hätte eine Quote von 0/0, also Unendlichkeit. Die Nettoerträge, sagte er sich dann, wären allerdings auch gleich 0.
»Es geht darum, Verfahrensordnungen zu entwickeln und zu implementieren, mit denen Sie so schnell wie möglich entscheiden können, ob ein gegebenes Dossier eine genauere Prüfung lohnt –«
»– und diese genauere Prüfung beinhaltet wiederum Verfahrensabläufe, die auch mit Ihrer Kreativität zu tun haben, mit Ihrem Instinkt, den Braten zu riechen –«
»– wobei Sie am Anfang Ihrer Tätigkeit für den Service, wo Sie noch Erfahrungen sammeln und Ihren Blick schärfen, gut beraten sind, sich auf bewährte Verfahren zu verlassen –«
»– die sich natürlich je nach Gruppe oder Team unterscheiden können.«
»Unstimmigkeiten in der Stammdokumentation beispielsweise. Das liegt ja auf der Hand. Diskrepanzen zwischen W-2ern bzw. 1099ern und ausgewiesenem Einkommen. Diskrepanz zwischen staatlichen Beihilfen und 1040ern –«
»Aber in welchem Ausmaß? Wo liegt der Interventionspunkt, bis zu dem Sie eine Unstimmigkeit dulden?«
»Das alles sind Fragen für Ihre Gruppenorientierung.«
Sylvanshine wusste inzwischen, dass zwei verschiedene Paare neuer Schlängler ohne ihr Wissen miteinander verwandt waren, das eine Paar infolge eines Liebesverhältnisses vor fünf Generationen in Utrecht.
David Cusk fühlte sich jetzt so entspannt und angstfrei, dass er fast dösig wurde. Die beiden Weiterbilder erzeugten manchmal einen Rhythmus und ein Einvernehmen, die wohltuend und erholsam waren. Cusks Steißbein war ein bisschen taub, weil er sich zurückgelehnt hatte und auf dem Stuhl
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