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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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Frage der Zeit, bis mir aufgehen könnte, dass er mich vielleicht nicht verstand und Anteil an mir nahm, sondern mich nur durchschaute, wie ein Mechaniker eine Maschine durchschaut – in meiner zweiten Woche in der Klapse gab es eine Zeit, in der ich ständig von allen möglichen Maschinen mit Zahnrädern und Skalen träumte, was die Ärzte und sogenannten Therapeuten immer diskutieren wollten, weil ich die symbolische Bedeutung erkennen sollte, worüber er und ich nur gelacht haben, weil die so klar auf der Hand lag, dass sie ein Blinder mit dem Krückstock durchschaut hätte, aber er meinte, das wäre nicht die Schuld der Ärzte oder ihrer Begriffsstutzigkeit, sondern so funktionierte in der institutionellen Maschinerie einfach die Therapie bei stationär behandelten Patienten, und die Ärzte hätten bei der Frage, wie viel Bedeutung sie den Träumen beimaßen, genauso wenig Spielraum wie das kleine Zahnrad, das im Rahmen einer großen Maschine immer dieselbe Funktion zu erfüllen hat.« Rand steht im RPZ im Ruf, sexy, aber durchgeknallt und eine große Langweilerin vor dem Herrn zu sein; wenn die einmal loslegt, redet sie einem einen Knopf an die Backe; man streitet noch darüber, ob ihr Mann letztlich zu beneiden oder zu bemitleiden ist. »Aber er brachte das zur Sprache, bevor ich überhaupt eine Chance hatte, darüber nachzudenken.« Sie lässt ihr weißes Vinyletui aufschnappen, zieht aber keine Zigarette heraus. »Und ich muss sagen, das fand ich überraschend, denn da war ich schon achtzehn und hatte schon so viele schlechte Erfahrungen mit Widerlingen, Perverslingen, Sportskanonen und Studenten mit ihrem ›Ich liebe dich‹ beim ersten Date, dass ich extrem misstrauisch und zynisch war, was die Hintergedanken von Männern anging, und normalerweise hätte ich, als dieser kränkliche kleine Pfleger anfing, mir Aufmerksamkeit zu schenken, alle Verteidigungsmechanismen hochfahren und alle möglichen widerlichen und deprimierenden Motive vermuten müssen.«
    Drinion zieht kurz die rote Stirn kraus. »Warst du achtzehn? Nicht siebzehn?«
    »Ach«, sagt Meredith Rand. »Stimmt ja.« Sie benimmt sich jünger und lacht dann manchmal schnell und tonlos, fast reflexhaft. »Ich war achtzehn. Am dritten Tag im Zeller bin ich achtzehn geworden. In der Besuchszeit sind sogar meine Eltern gekommen, haben mir Kuchen und Knallbonbons mitgebracht, und wir haben versucht zu feiern und ausgelassen zu sein, aber das war dermaßen peinlich und deprimierend, dass mir richtig unwohl wurde, von wegen vor einer Woche waren die hysterisch wegen ein paar Ritzern und haben mich in die Klapse gesteckt, und jetzt spielten sie mir hier einen glücklichen Geburtstag à la ›Wir vergessen alle das kreischende Mädchen im rosa Zimmer‹ vor, ich blase die Kerzen aus und klemm mir das Gummiband vom Hütchen unters Kinn, also hab ich einfach mitgespielt, weil ich überhaupt nicht wusste, was ich sagen sollte, so abgefahren war das alles, als sie diese Nummer mit ihrem ›Herzlichen Glückwunsch, Meredith, Juchhe!‹ abgezogen haben.« Sie knetet sich den Unterarm, während sie das erzählt. Während Drinion mit auf der Tischplatte gefalteten Händen dasitzt, liegt mal der eine und mal der andere Daumen oben. Sein Bierglas ist leer, und nur unten am Rand ist noch ein Halbkreis getrockneter Schaum zu sehen. Meredith Rand hat jetzt drei verschiedene schmale Strohhalme, an denen sie kauen kann: Einer davon ist am einen Ende schon völlig zerkaut und platt. Sie sagt:
    »Er kam also darauf zu sprechen. Er sagte, auf irgendeiner Ebene würde mir das wahrscheinlich bald aufgehen, wenn wir also wirklich intensiv miteinander sprechen wollten, könnten wir uns genauso gut darüber unterhalten. Er deponierte immer solche kleinen Sprengsätze, und wenn ich dann so dasaß« – sie mimt einen übertrieben verblüfften Gesichtsausdruck –, »stöhnte er, schwang die Füße vom Tisch und machte sich mit dem Klemmbrett auf seinen Kontrollgang – offiziell musste er alle Viertelstunde bei allen vorbeischauen und notieren, wo sie waren, und sicherstellen, dass sich keine zum Kotzen brachte oder Kissenbezüge zusammenknotete, um sich aufzuhängen –, er ging also und ließ mich im Besprechungszimmer zurück, wo ich nichts ansehen oder tun konnte, als auf seine Rückkehr zu warten, die manchmal lange dauerte, weil er sich nie wohlfühlte, und wenn keine Stationsleitung oder sonst wer da war, der ihn sehen konnte, ging er sehr langsam und lehnte sich immer

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