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Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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»die nett, aber nicht besonders helle sind, und außerdem sind sie ja ihre Eltern – hier geht es aber um Menschen draußen in der großen weiten Welt.« Sie macht eine abschließende Geste, die ironisch gemeint sein kann, aber nicht muss. »Sie selbst ist ihr eigentliches Hauptproblem, und nur sie kann es lösen, und nur dann, wenn sie nicht mehr einsam sein und sich selbst bemitleiden will mit ihrem ›Ich Arme, ich bin so einsam, und niemand versteht, wie schlimm ich verletzt worden bin, buhuhu‹.«
    »Ehrlich gesagt hatte ich eine andere Erklärung gemeint.« Inzwischen wirkt Drinion beträchtlich größer als zu Beginn des Zweiergesprächs. Die Hutreihe an der Wand hinter ihm wird fast vollständig verdeckt. Es ist auch seltsam, wenn jemand einem auf Dauer so tief in die Augen sieht, ohne dass man sich provoziert oder nervös oder auch nur beunruhigt fühlt. Als Rand später nach Hause chauffiert wird, fällt ihr auf, dass ihre Sinneswahrnehmungen während des Zweiergesprächs mit Drinion auf eine Weise gesteigert waren, die nichts mit Erregung oder Nervosität zu tun hatte; sie hatte den Stuhl am Gesäß, im Kreuz und an den Rückseiten der Oberschenkel gespürt, den Stoff ihres Rocks, die Außenseiten ihrer Schuhe an den Nähten in der Strumpfhose, deren Mikrostrukturgewebe sie ebenso spürte wie die Zunge innen an Zähnen und Gaumen, die Luft aus der Klimaanlage am Haaransatz, die sonstige Kneipenluft im Gesicht und an den Armen und die Reste des Zigarettenrauchs in der Nase. Ein- oder zweimal hatte sie geglaubt, beim Zwinkern die genaue Form ihrer Augäpfel innen an den Lidern zu spüren – das eigene Zwinkern war ihr bewusst. Die einzige Erfahrung, die sich damit vergleichen ließ, betraf die Katze, die sie als Kind gehabt hatte, bevor sie (also die Katze) von einem Auto überfahren worden war, und sie hatte mit der Katze im Schoß im Sessel sitzen und sie streicheln können und das Grummeln der schnurrenden Katze und ihren warmen Pelz und die Muskeln und Knochen darunter bis ins kleinste Detail gespürt, und sie hatte über lange Zeiträume hinweg im Sessel sitzen und die Katze streicheln und sie mit ihren halb geschlossenen Augen spüren können, als wäre sie weggetreten oder im Stupor, aber faktisch hatte es sich wie das Gegenteil eines Stupors angefühlt – sie hatte sich voll bewusst und lebendig gefühlt, aber gleichzeitig hatte sie, wenn sie langsam und immer mit dergleichen Bewegung die Katze gestreichelt hatte, das Gefühl gehabt, sie vergäße zehn oder zwanzig Minuten lang ihren Namen, ihre Adresse und fast alles andere, was in ihrem Leben wichtig wäre, obwohl sie dann eigentlich nicht weggetreten war, und sie hatte die Katze geliebt. Ihr fehlte das Gefühl ihres Gewichts, das mit nichts zu vergleichen war, nicht schwer und nicht leicht, und fast zwei oder drei Tage lang fühlte sie sich dann manchmal wie jetzt, sie fühlt sich jetzt wie die Katze.
    »Für die Nagelgeschichte, meinst du?«
    Drinion: »Ich glaube ja.«
    Meredith Rand: »Er sagte, eigentlich wäre er ein toter Mann, er benutzte die Wendungen toter Mann und Tod auf Latschen und sagte, entscheidend wäre, dass in der Hinsicht gar nichts zu machen sei. Er hätte gar nicht mehr die körperliche Kraft, mir an die Wäsche zu gehen, nicht mal, wenn er gewollt hätte.«
    Shane Drinion: »Dann hat er dir also von seiner Krankheit erzählt.«
    Meredith Rand: »Nicht so direkt; er meinte nur, das gehe mich nichts an oder nur, insofern es mein Problem beträfe. Und ich hab gesagt, so langsam frag ich mich, ob diese ganzen Andeutungen auf ›mein Problem, mein Problem‹, ohne je damit rauszurücken, worin das denn bestehen soll, vielleicht nur dazu dienen, mich aus irgendwelchen Gründen zappeln zu lassen, und ich will ja nicht so tun, als wüsste ich genau, worin dieser Grund besteht oder was er will, aber ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass da irgendwas Perverses oder Widerliches dahintersteckt, und das hab ich ihm auch genau so vor den Latz geknallt. Höflichkeit war da schon nicht mehr mein Ding.«
    »Ich bin ein bisschen verwirrt«, sagt Shane Drinion. »Das war alles noch, bevor er dir auf den Kopf zusagte, worin seiner Meinung nach dein Problem bestand?«
    Meredith Rand schüttelt den Kopf, aber worauf sie damit reagiert, ist jetzt doppelt unklar. Unter ihren Steuerprüferkollegen wird u. a. beanstandet, dass sie mit diesen langen Geschichten loslegt, aber irgendwann den Faden verliert, und es ist fast unmöglich,

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