Der bleiche König: Roman (German Edition)
kriegten Glupschaugen und wurden nervös oder rollig und flirteten, wenn ich nach der Stunde kam, um noch irgendwas zu fragen. Einfach weil ich eine Sahneschnitte war und weil keiner jemals mehr sah als das.
Pass auf«, sagt Meredith Rand. »Versteh mich nicht falsch. Ich finde mich gar nicht so hübsch. Ich finde mich nicht schön. Ich hab mich eigentlich noch nie besonders schön gefunden. Meine Augenbrauen sind beispielsweise zu buschig. Ich werd nicht anfangen, sie auszuzupfen, aber sie sind zu buschig. Und mein Hals ist irgendwie doppelt so lang wie ein normaler Hals, wenn ich in den Spiegel seh.«
»...«
»Nicht dass das eine Rolle spielt.«
»Nein.«
»Nein was?«
»Ich verstehe, dass das keine Rolle spielt«, sagt Drinion.
»Spielt es aber doch. Du schnallst das nicht. Die Hübschheitskiste – zumindest in dem Alter ist das einfach eine Falle. Der Gierschlund in dir fährt auf die Aufmerksamkeit ab. Du bist anders, du bist begehrenswert. Es ist leicht, dich mit dem Hübschsein gleichzusetzen, als wäre das alles, was du hast, was dich anders macht. In deinen Designerjeans und hautengen Pullis, die du in den Trockner werfen kannst, damit sie noch knapper sitzen. Und dann so rumzulaufen.« Dabei trägt Meredith Rand in der Dienststelle keine kaschierende oder unelegante Mode. Es sind berufsgerechte Kombinationen, ganz im Rahmen des Dresscodes, aber trotzdem beißen sich viele Prüfer in der Dienststelle vor Wonne auf die Knöchel, wenn sie vorbeigeht, besonders in den kalten Monaten, wenn die extrem trockene Luft für statisches Knistern sorgt.
Sie sagt: »Die Kehrseite ist, irgendwann begreifst du, dass du nur Frischfleisch bist. Nichts anderes. Sehr begehrenswertes Frischfleisch, aber dass man dich niemals ernst nehmen wird und dass du niemals, was weiß ich, Bankpräsidentin oder so werden wirst, weil niemand je imstande sein wird, hinter die Schönheit zu sehen, die Schönheit tangiert sie und löst Gefühle aus, und nur das zählt für sie, und es ist schwer, dich nicht geschmeichelt zu fühlen, dich nicht damit abzufinden und dich selbst nicht genauso zu sehen.«
»Du meinst, andere Leute nur noch danach zu betrachten und einzuschätzen, ob sie attraktiv sind oder nicht?«
»Nein, nein.« Man merkt, dass es Meredith Rand schwerfallen würde, das Rauchen aufzugeben, denn darüber, wie sie eine Zigarette hält, Rauch ausbläst und den Kopf bewegt, bringt sie sehr viel Emotion zum Ausdruck. »Ich meine, dass du anfängst, dich selber als Frischfleisch zu sehen, als hättest du nur dein Aussehen und deine Wirkung auf Jungen, Männer. Darauf verfällst du ganz mechanisch, machst es dir gar nicht klar. Und es macht Angst, weil es sich gleichzeitig wie eine Schublade anfühlt; du weißt, dass mehr in dir steckt, weil du es spürst, aber niemand sonst kriegt das je mit – nicht mal andere Mädchen, die dich entweder hassen oder Angst vor dir haben, weil du das Monopson hast, oder falls es auch Sahneschnitten oder Cheerleader sind, wetteifern sie mit dir und glauben, sie müssen diese ganze stutenbissige Konkurrenzscheiße mit dir durchziehen, von der Typen keine Ahnung haben, aber glaub mir, das kann einfach grausam sein.«
Die Tatsache, dass Drinions eines Nasenloch etwas größer ist als das andere, wirkt manchmal so, als würde er den Kopf schief halten, auch wenn das gar nicht der Fall ist. Das ist ähnlich wie beim Mundatmen. Meredith Rand interpretiert Ausdruckslosigkeit meist als Unaufmerksamkeit, so wie die Miene eines Gesprächspartners leer wird, wenn er zuzuhören vorgibt, aber nicht wirklich zuhört, doch Drinions Ausdruckslosigkeit sieht anders aus. Und entweder bildet sie es sich nur ein, oder Drinion sitzt wirklich aufrechter und größer da, jedenfalls wirkt er größer als zu Beginn ihres Zweiergesprächs. Eine Ansammlung verschiedener an ein lackiertes Rosenholzbrett geklebter oder irgendwie festgesteckter altmodischer Schlapphüte, Homburgs und diverser Geschäftshüte, die an der gegenüberliegenden Wand vom Meibeyer’s über Drinions Kopf hinweg zu sehen gewesen waren, werden jetzt teilweise von seiner Schädeldecke und dem Haarwirbel um seinen Scheitelpunkt herum verdeckt. Drinion schwebt faktisch ein wenig, was immer passiert, wenn er ganz in etwas vertieft ist; nur ein bisschen, und niemand sieht, dass sein Gesäß leicht über der Sitzfläche seines Stuhls schwebt. Eines Abends kommt jemand ins Büro und sieht Drinion, der, die Augen auf eine komplexe Steuererklärung
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