Der bleiche König: Roman (German Edition)
gegenüberliegenden Ufer hinübersah, wo kleine Gestalten in einer Reihe auf Klappstühlen saßen, was nur bedeuten konnte, dass sie Angelschnüre ins Wasser hängen ließen und auf Sonnenbarsche aus waren, was eigentlich nur die Schwarzen von der East Side je machten, und das kleine Weiße am Ende der Reihe war ein Fischkorb aus Styropor. In dem Augenblick oder in dieser Zeit am See hatte Lane Dean erst das Gefühl, das alles als Ganzes in sich aufnehmen zu können; alles schien scharf beleuchtet, denn der Schattenkreis der Sumpfeiche war weitergewandert, und jetzt saßen sie in der Sonne, und ihr Schatten war ein zweiköpfiges Geschöpf im Gras links von ihnen. Er sah oder starrte wieder auf die Stelle, wo die Zweige des umgestürzten Baums direkt unter der Wasseroberfläche scharf abzuknicken schienen, als ihm plötzlich aufging, dass er während des ganzen ihm so verhassten eisigen Schweigens in Wahrheit die ganze Zeit gebetet hatte, oder jedenfalls ein kleiner Teil seines Herzens, den er nicht kennen und hören konnte, denn er wurde jetzt mit einer Art Vision erhört, die er später für sich eine Vision oder einen Augenblick der Gnade nennen sollte. Er war kein Heuchler, er war nur gebrochen und zerrissen wie alle Männer. Später glaubte er, dass er sie beide vielleicht einen Augenblick lang fast so gesehen hatte, wie Jesus Christus sie vielleicht sehen würde – als blind, aber tastend und mit dem Wunsch, Gott trotz ihrer angeborenen Sündhaftigkeit zu gefallen. Denn in diesem einen ekstatischen Augenblick sah er blitzartig in Sheris Herz, und es ward ihm kundgetan, was geschehen würde, sobald sie sich ihm ganz zugewandt, der Mann mit Hut die Angler beobachtet und die umgestürzte Ulme ihre Zellen dem Wasser übergeben hätte. Das patente Mädchen, das gut roch und Krankenschwester werden wollte, würde seine Hand in ihre Hände nehmen und festhalten, um ihn aufzutauen und damit er ihr in die Augen sähe, und sie würde sagen, dass sie es nicht tun könne. Dass es ihr leidtue, dass ihr das nicht schon früher aufgegangen sei, und dass sie nicht habe lügen wollen, sondern zugestimmt habe, weil sie gern geglaubt hätte, sie könne es, aber sie könne eben nicht. Dass sie es behalten und zur Welt bringen werde, weil sie müsse. Mit ihrem klaren und festen Blick. Dass sie die ganze letzte Nacht gebetet und ihr Gewissen erforscht und entschieden habe, dass die Liebe ihr das gebiete. Und Lane möge sie, bitte, bitte, Schatz, ausreden lassen. Das, pass auf – das sei ihre eigene Entscheidung, die ihn zu gar nichts verpflichte. Dass ihr klar sei, dass er sie nicht liebe, nicht auf diese Weise, und dass ihr das immer klar gewesen sei und dass das in Ordnung sei. Es sei, wie es sei, und das sei in Ordnung. Sie werde es behalten und zur Welt bringen und lieb haben und keine Ansprüche an Lane stellen oder nur, dass er ihr alles Gute wünsche und ihr Tun respektiere. Dass sie ihn freigebe, alle Ansprüche an ihn, und hoffe, er werde am PJC seinen Abschluss machen und im Leben Gutes tun und fröhlich und guter Dinge sein. Ihre Stimme wird klar und fest sein, und sie wird lügen, denn Lane hat ja schon in ihrem Herzen lesen können. Sie sehen können. Der eine Schwarze am Ufer gegenüber hebt den Arm, vielleicht zum Gruß oder um eine Biene zu verscheuchen. Irgendwo hinter ihnen läuft ein Rasenmäher. Es wird ein schreckliches Risiko auf Biegen oder Brechen sein, das der Verzweiflung in Sheri Fishers Seele entspringt, dem Wissen darum, dass sie das weder heute über sich bringen noch allein ein Kind gebären und damit Schande über ihre Familie bringen kann. Ihre Wertvorstellungen verhindern beides, erkennt Lane, und sie hat keine Alternativen oder Wahlmöglichkeiten, diese Lüge ist keine Sünde. Galater 4.16: Bin ich denn damit euer Feind geworden? Sie spekuliert darauf, dass er gut ist. Dort auf dem Tisch, weder erstarrt noch schon in Bewegung, erkennt Lane Dean jr. all das, Mitleid überkommt ihn und noch etwas anderes, wofür er keinen Namen hat, was er aber in Form einer Frage spüren kann, die ihm in der ganzen langen Woche des Nachdenkens und der Getrenntheit nie in den Sinn gekommen ist – warum ist er eigentlich so sicher, dass er sie nicht liebt? Warum ist die eine Art der Liebe so anders? Was ist, wenn er nicht die geringste Ahnung hat, was Liebe ist? Würde nicht sogar Jesus so handeln? Denn genau jetzt spürte er ihre beiden kleinen starken sanften Hände auf seiner Hand, damit er sich ihr zuwendet. Was
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