Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der bleiche König: Roman (German Edition)

Der bleiche König: Roman (German Edition)

Titel: Der bleiche König: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
Vom Netzwerk:
Richtungen zeigte und dessen Krone halb im Wasser lag. Der einzige andere Anwesende war ein Mann, der ein paar weit auseinanderstehende Tische weiter allein dastand. Das aufgerissene Loch im Boden ansah, wo der Baum entwurzelt worden war. Es war noch früh am Tag, die Schatten wanderten nach rechts und wurden kürzer. Das Mädchen trug ein dünnes altes kariertes Baumwollhemd mit perlmuttfarbenen Druckknöpfen und runtergekrempelten langen Ärmeln, und es roch immer gut und sauber wie jemand, dem man vertrauen und den man sehr mögen konnte, auch wenn man nicht verliebt war. Lane Dean hatte ihren Duft von Anfang an gemocht. Seine Mutter nannte sie ein patentes Mädchen und hatte sie gern, fand, sie sei ein guter Mensch, das sähe man gleich – das war ihr auf unauffällige Weise anzumerken. Das Flachwasser schwappte aus verschiedenen Richtungen gegen den Baum, fast als wollte es ihn annagen. Wenn er allein war und grübelte oder mit sich rang, ob er ein Problem Jesus Christus im Gebet überantworten solle, stellte er manchmal fest, dass er die Faust in die Handfläche legte und leicht drehte, als spielte er immer noch Baseball und würde mit der Faust in den Handschuh schlagen, um im Zentrum wach und aufmerksam zu bleiben. Jetzt machte er das nicht, jetzt wäre es grausam und ungehörig gewesen. Der ältere Mann stand neben seinem Picknicktisch, setzte sich aber nicht und wirkte auch irgendwie fehl am Platz in seiner Anzugjacke oder dem Sakko und dem Altherrenhut, wie Lanes Großvater ihn auf Fotos trug, die ihn als jungen Versicherungsvertreter zeigten. Er schien über den See zu schauen. Wenn er sich bewegte, bekam Lane das nicht mit. Er erinnerte mehr an ein Bild als an einen Lebenden. Es waren keine Enten zu sehen.
    Lane Dean versicherte ihr jetzt wieder, er würde mitkommen und bei ihr bleiben. Sonst konnte er wenig sagen, was sicher oder anständig gewesen wäre. Als er das zum zweiten Mal wiederholte, schüttelte sie den Kopf und lachte unglücklich, eigentlich schnaubte sie nur durch die Nase. Ihr echtes Lachen klang anders. Er würde wohl im Wartezimmer sitzen, sagte sie. Dass er an sie denken und sich ihretwegen schlecht fühlen werde, sei ihr klar, aber mit hineinkommen könne er nicht. Das war natürlich so richtig, dass er sich wie ein Einfaltspinsel vorkam, weil er immer wieder davon angefangen hatte, denn jetzt wusste er, was sie sich dabei jedes Mal gedacht hatte; es hatte sie nicht getröstet oder ihr die Last abgenommen. Je schlechter er sich fühlte, desto regloser saß er da. Die ganze Angelegenheit fühlte sich an, als balancierte sie auf Messers Schneide oder auf einem Draht; wenn er sich bewegte, den Arm um sie legte oder sie berührte, konnte die ganze Angelegenheit ins Kippen kommen. Er hasste sich, weil er so starr dasaß. Er sah sich förmlich vor sich, wie er auf Zehenspitzen durch ein Minenfeld schlich. Ein großer Dämlack, der in einem Comic auf Zehenspitzen ging. Die ganze letzte schwarze Woche hatte sich so angefühlt und war falsch gewesen. Er wusste, dass es falsch war, er wusste, dass etwas von ihm erwartet wurde, und er wusste, dass es nicht diese schreckliche erstarrte Anteilnahme und Behutsamkeit war, aber er redete sich ein, er wisse nicht, was von ihm erwartet würde. Er redete sich ein, es sei namenlos. Er redete sich ein, wenn er das nicht laut aussprach, was, wie er wusste, richtig und ehrlich wäre, geschah das um ihretwillen, um ihrer Bedürfnisse und Gefühle willen. Nach den Seminaren jobbte er bei UPS in den Bereichen Ladedock und Routenlogistik, hatte den Dienst aber weggetauscht, um den Tag freizuhaben, nachdem sie gemeinsam ihre Entscheidung getroffen hatten. Vor zwei Tagen war er früh aufgewacht und hatte beten wollen, es aber nicht gekonnt. Er erstarrte immer mehr, so sein Gefühl, aber er hatte nicht an seinen Vater oder an dessen ausdruckslose Erstarrung sogar in der Kirche gedacht, die ihn einst mit solchem Mitleid erfüllt hatte. Das war die Wahrheit. Lane Dean jr. spürte die Sonne auf dem einen Arm, während er sich vorstellte, wie er in einem Zug saß und mechanisch etwas zuwinkte, das immer kleiner wurde, während der Zug davonfuhr. Sein Vater und der Vater seiner Mutter hatten am selben Tag Geburtstag, beide waren Krebs. Sheris Haar war fast maisblond, sehr sauber, und unter dem Mittelscheitel schimmerte die Kopfhaut rosig im Sonnenlicht. Sie hatten so lange hier oben gesessen, dass jetzt nur noch ihre rechte Seite im Schatten lag. Er konnte ihren Kopf

Weitere Kostenlose Bücher