Der blinde Hellseher
eine Hand in der Hosentasche — mit einem so freundlichen
Gesicht überm Kragen, als wäre seine TROTTORIA knüppeldick voll von Gästen, die
massenhaft italienischen Sekt trinken und reichliches Trinkgeld geben.
Auch der Mann im
Wildledermantel war Italiener, aber ein ganz anderer Typ. Mit edlem Kopf und
vornehmem Ausdruck. Er erinnerte Tarzan an die Abbildungen auf alten römischen
Münzen. Aus dem Geschichtsbuch kannte er die, und aus der historischen
Abteilung im Stadtmuseum.
Der Mann öffnete die Wagentür,
beugte sich zu Lupo, kraulte ihn am Hals, ließ ihn dann auf den Sitz springen
und schloß die Tür. Er drehte sich um, zog seine Brieftasche hervor.
Die Kinder konnten genau sehen,
wie er drei Hunderter abzählte. Frasketti riß sie ihm fast aus der Hand.
Ohne sich weiter um den
TRATTORIA-Wirt zu kümmern, ging der Mann um seinen Wagen herum.
Frasketti machte kehrt und
verschwand in der Einfahrt.
„Das... das... Was geht denn da
vor?“ stotterte Gaby.
„Ich glaube...“ Tarzan stockte.
„Zum Kuckuck! Davon will ich mich überzeugen.“ Er schoß los wie aus dem
Startloch; und da er bekanntlich die 100 Meter mühelos in 11,8 Sekunden
schaffte, war er beim Wagen, bevor der Mann einsteigen konnte.
„Einen Moment, bitte!“
Der Mann bleib stehen.
Freundlich sah er Tarzan an.
„Es geht um Lupo“, sagte
Tarzan. „Wir... äh... ich komme vom Tierschutzverein. Lupo ist halbverhungert
und hat nicht die richtige Pflege.“
Der Mann nickte. „Du wolltest
dich um ihn kümmern?“ fragte er in fast akzentfreiem Deutsch. „Das ist gut,
aber jetzt nicht mehr nötig. Ich habe Lupo von meinem Landsmann gekauft.“
„Das ist kein Trick?“ fragte
Tarzan argwöhnisch.
„Trick? Was meinst du mit
Trick?“
„Der Tierschutzverein hätte
veranläßt, daß Herrn Frasketti der Hund weggenommen wird. Da wäre es doch
möglich, daß Lupo beiseite gebracht werden soll und... Aber dabei würden Sie
nicht mitmachen, nicht wahr?“
Der Mann lächelte. Im linken
Mundwinkel blitzte eine Goldkrone auf. „Bestimmt nicht. Ich habe Lupo gekauft,
weil er mir leid tut. Weil ich schon immer so einen wolfsartigen Hund wollte
und weil meine Kinder ganz verrückt nach ihm sind — nachdem sie ihn neulich
sahen.“
„Dann wird es Lupo also gut bei
Ihnen haben?“
„Du kannst gern vorbeikommen
und dich davon überzeugen. Hier!“ Er zog eine Visitenkarte aus der Brieftasche
und gab sie Tarzan. „Wir haben einen großen Garten. Dem guten Lupo wird’s an
nichts fehlen. Ich weiß, daß wir Italiener alle in dem Ruf stehen, unsere Hunde
schlecht zu behandeln. Aber das stimmt nicht. Überall, mein Junge, gibt es
diese und jene Menschen. A presto, mio bambino!“ (Auf Wiedersehen, mein Junge!)
Er nickte Tarzan zu und stieg
ein. Lupo begann vor Freude fast zu tanzen und wollte ihm das Gesicht lecken.
Dann fuhr der Wagen ab.
„Ich habe alles gehört“, sagte
Gaby.
Sie war in der Nähe
stehengebleiben. Jetzt kam sie heran.
Tarzan sah immer noch dem Wagen
nach. „Toll! Einfach toll!“
„Was meinst du?“
„Daß es so ausgeht, meine ich!
Die beste Lösung weit und breit. Wie der Zufall manchmal so spielt! Wir kommen
um den Diebstahl herum. Lupo kriegt einen prima Platz, Frasketti hat Geld
gekriegt; und Lupos neue Besitzer freuen sich.“
„Zeig mal!“ Gaby nahm ihm die
Visitenkarte aus der Hand. „Dr. med. Guiseppe Como“, las sie, „Lerchenröder
Straße 71. In der Straße war ich schon mal. Alles große Gärten. Das freut
mich für Lupo.“
Tarzan blies die Backen auf und
stieß den Atem aus. „Puhhh! Wenn ich mir vorstelle, wir wären schneller
gewesen. Nur fünf Minuten schneller! Schrecklich! Wir hätten einen Glücksfall
verhindert, weil wir helfen wollten. So kann’s kommen, daß man in bester Absicht
Mist baut.“
„Es ist immer noch besser, als
dabeizustehen und nichts zu tun“, sagte Gaby. „Ich hasse die Gaffer, die immer
für alles schöne Worte finden, aber selber keinen Finger rühren. Besonders,
wenn’s um Tiere geht.“
Sie gingen zu Karl und Klößchen
zurück. Die beiden hatten aus der Ferne zugesehen, aber nicht ganz durchschaut,
was da lief. Als sie’s jetzt erfuhren, waren sie sehr zufrieden.
Tarzan sah auf die Uhr.
„Allmählich, Willi, wird’s für
uns Zeit.“
„Och“, meinte Klößchen, „heute
haben wir bei Meinert Arbeitsstunde. Der sagt nichts, wenn wir zu spät kommen.“
„Ich soll dir doch Chemie und
Mathe erklären. Erzählen kann ich’s dir in fünf
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