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Der blinde Hellseher

Der blinde Hellseher

Titel: Der blinde Hellseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Minuten. Aber zum Begreifen
brauchst du wahrscheinlich etwas länger — da reicht die Arbeitsstunde kaum.“
    „Leider“, nickte Klößchen.
„Meine Stärke liegt eben woanders.“ Freilich — wo sie lag, das verriet er
nicht.
    „Und Volker?“ fragte Karl.
„Seinetwegen sind wir hergekommen, wenn ich mal daran erinnern darf! Über Lupos
Schicksal haben wir ihn ganz vergessen.“
    „Nicht vergessen!“ Tarzan
grinste und schüttelte den Kopf. „Nur vertagt. Und das mit Lupo war nötig — so
oder so. Denn wenn ich heute nacht den Keller und die Vorratsräume der
Trattoria absuche, wäre ein bellender Hofhund sehr störend.“
    „Wie bitte?“ Karl legte die
Hände muschelfömig hinter beide Ohren. „Was vernehmen meine
Hochleistungslauscher? Du willst tatsächlich...“
    „Mist!“ wurde er von Klößchen
unterbrochen, der gleichzeitig mit dem Fuß aufstampfte, was für ihn ein wahrer
Temperamentsanfall war. „Das geht dann wieder ohne mich. Nur weil ich das mit
dem Seilklettern aus dem Fenster noch nicht schaffe. Elender Mist! Aber eines
Tages besorge ich mir einen Nachschlüssel, und dann spaziere ich nachts durch
die Tür aus dem Internat.“
    Klößchen spielte darauf an, daß
Tarzan sich stets an einem Seil aus dem Fenster im zweiten Stock ließe, wenn er
nachts heimlich das Internat verließ. Genauso kletterte er auch zurück, denn
die Türen waren alle verschlossen.
    „Ärgere dich nicht!“ sagte
Tarzan. „Ich nehme sowieso keinen mit. Das wird ein Ein-Mann-Unternehmen. Dabei
kann ich nur für mich die Verantwortung tragen.“
    Aus großen Augen sah Gaby ihn
an. „Das kannst du nicht machen. Das ist zu gefährlich.“
    „Doch. Es geht schließlich um
Volker.“
    „Aber wenn dich dieser eklige
Kidnapper dabei ertappt! Frasketti gehört doch wahrscheinlich zur Mafia.“
    Mit unbewegtem Gesicht zuckte
Tarzan die Schultern. Aber dann überkam es ihn für einen Moment, den tragischen
Helden zu spielen.
    „Falls ich morgen zur ersten
Stunde nicht zurück bin, wißt ihr, was los ist.“
    „Dann hat Frasketti dich
erwischt“, sagte Klößchen schaudernd.
    „Hauptsache, ihr gebt Gabys
Vater sofort Bescheid.“
    „Natürlich!“ sagte Klößchen.
„Aber vielleicht wäre es doch besser, wenn ich mitkäme. Wir könnten noch rasch eine
Strickleiter kaufen. Dann brauchte ich nicht mit dem Seil...“
    „Hör’ auf, Willi!“ gebot
Tarzan. „Sonst fessele ich dich heute nacht ans Bett.“
    „Ich weiß, ich weiß. Aber wenn
ich das Seil hochkäme, würdest du mich...“
    „Nein, Willi! Auch dann nicht!
Ich gehe diesmal wirklich allein.“
    Tarzan verabschiedete sich von
Oskar, der ihm brav die Pfote gab, sowie von Gaby und Karl. Die beiden radelten
heimwärts, aber in andere Richtung. Klößchen hängte sich an Tarzans
Windschatten, und beide traten kräftig in die Pedale. Während der ziemlich
langen Fahrt zur Internatsschule ärgerte Klößchen sich unentwegt. Es betraf das
Seil.
    Kein Problem für einen
wieselflinken Kletterer wie Tarzan, wenn er nachts etwas erkunden wollte. Aber
für Klößchen mit seinen 20 Pfund Übergewicht eine unlösbare Aufgabe. Sicherlich
— seit er unter Tarzans Anleitung turnte, klappte es mit den Kniebeugen schon
ganz gut. Neulich hatte er 72 geschafft (und war dann schweißüberströmt beinahe
umgefallen). Aber ein richtiger Klimmzug gehörte immer noch zu den
unerreichbaren Zielen. Ohne Klimmzug ein Seil hochzuturnen, gelingt jedoch
allenfalls einem Affen. Deshalb mußte Klößchen immer im ADLERNEST bleiben, wenn
Tarzan einen nächtlichen Ausflug unternahm, konnte vor Gram nicht schlafen und
wartete hellwach und aus Verzweiflung unentwegt Schokolade essend, Tarzans
Rückkehr ab.
    Heute nacht würde es also
wieder so sein.

     
     

8.
Unternehmen Vorratskeller
     
    Nach der Arbeitsstunde, während
der unter Aufsicht die Schularbeiten gemacht wurden, schrieb Tarzan einen Brief
an seine Mutter. Dabei konnte er’s einfach nicht vertragen, wenn jemand ihn
störte. Klößchen wußte das und ließ ihn in Ruhe. Schließlich steckte Tarzan den
Brief in einen Umschlag und klebte ihn zu.
    „Den nehme ich heute nacht mit
und werfe ihn gleich bei der Hauptpost in den Kasten“, meinte er lachend.
    „Gute Idee.“ Klößchen hob einen
schweren Karton aus seinem Spind.
    „In einer Stunde gibt es Abendessen.
Laß’ bloß deinen Freßvorrat zu!“
    „Ich esse ja gar nichts!“
maulte Klößchen. „Ich will nur die Tafeln sortieren. Mir gefällt schon der
Anblick.“
    Er

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