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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Backsteinbau, der eigentlich schon längst abgerissen sein sollte.
    An dieser Entscheidung des Schulamts war nicht mehr zu rütteln. Aber man hatte es den beiden Turnlehrern Schubert und Wiesenbügel überlassen, wie sie sich einigen wollten.
    Natürlich hätten die beiden Herren jetzt einfach nur ein Markstück in die Luft werfen können. Dann hätte schon im Laufe einer knappen Sekunde Zahl oder Wappen entschieden. Aber Herr Schubert und Herr Wiesenbügel waren der Meinung gewesen, die Sache sei wichtig genug, um von den zwei betroffenen Klassen selbst ausgetragen zu werden.
    So war vor vierzehn Tagen ein Wettschwimmen veranstaltet worden. Jeder Untertertianer hatte zwei Bahnen zu absolvieren. Noch bei der letzten Wende hatte der Schlußmann vom Maximilianeum mit einem Vorsprung von gut fünf Metern vorne gelegen. Aber dann hatte der Sheriff, der für die Untertertia der Eberhard-Ludwig-Schule im Wasser war, wie ein Berserker gekämpft — mit dem Ergebnis, daß beide Schwimmer haargenau im gleichen Augenblick angeschlagen hatten. Auch ein Zielfoto hätte nicht anders entscheiden können.
    Heute sollten deshalb die beiden Schulklassen zum zweiten Mal gegeneinander antreten.
    Auf die Pfiffe ihrer Turnlehrer waren sämtliche Untertertianer aus dem Wasser geklettert. Sie versammelten sich, nach Schulen getrennt, bei den zwei Sprungtürmen.
    „Das Wort hat Kollege Wiesenbügel“, sagte Herr Schubert und machte eine einladende Handbewegung zur anderen Seite.
    „Danke“, erwiderte Herr Wiesenbügel, und das klang so förmlich, als ginge es um eine Weltmeisterschaft im Hammerwerfen. „Damit nicht wieder alles vergeblich ist, schlage ich vor, wir prüfen zuerst die Anwesenheit.“
    Die Untertertianer vom Maximilianeum brummten Beifall. Ein langer Junge mit blauer Badehose sagte sogar: „Sehr richtig!“
    Und diesmal waren die Untertertianer vom Maximilianeum leider im Recht. Vor einer Woche, als die gleiche Ausscheidung schon einmal angesetzt gewesen war, hatte nämlich beim Verlesen der Namen ausgerechnet Peter Schimmelpfennig gefehlt. Daraufhin war das Ganze sofort abgeblasen und auf heute angesetzt worden — mit der Auflage, daß dieses Mal aber jeder Untertertianer anwesend sein müsse. Notfalls auf einer Tragbahre.
    Als heute der Name Schimmelpfennig aufgerufen wurde und Peter sein „Hier“ sagte, bekam er deshalb von der Untertertia des Maximilianeums einen Applaus, als hätte er gerade mit der großen Zehe ein Beethoven-Konzert gespielt.
    Peter Schimmelpfennig guckte an die Decke, als würden ihn nur noch die Beleuchtungskörper interessieren, die dort hingen.
    „Ich stelle fest“, gab Herr Wiesenbügel schließlich bekannt, „daß sämtliche Herren der beiden Klassen anwesend sind. Ich gebe also die Regeln bekannt. Sie sind sehr einfach.“
    Die Bademeister, die natürlich wußten, worum es ging, waren inzwischen von ihrer Frühstückspause zurückgekommen und setzten sich wie Zuschauer im Zirkus auf die Bänke.
    „Jeder Schüler, der vom Zehnmeterbrett springt, erwirbt für seine Schule einen Punkt. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, in welcher Art gesprungen wird.“ Herr Wiesenbügel sah fragend zu seinem Kollegen hinüber: „Vielleicht muß ich noch darauf hinweisen, daß selbstverständlich jeder Schüler nur einmal springen darf und daß die Schule, die weniger Punkte als die andere hat, in die Badeanstalt in der Krefelder Straße umzieht. Aber auch das versteht sich ja von selbst.“
    „Es wäre nur noch zu klären“, sagte jetzt Herr Schubert, >>welcher Schüler bei Ihnen ausscheidet.“
    „Richtig“, gab Herr Wiesenbügel zu. „Wer ist Vertrauensschüler bei Ihnen?“
    „Der Schüler Schlotterbeck“, sagte Herr Schubert.
    Der Sheriff trat vor. Er war von den Sommerferien her noch ganz braun gebrannt.
    „Bertelsmann, bitte“, bat Herr Wiesenbügel jetzt den Vertrauensschüler seiner Klasse, nach vorne zu kommen.
    „Schlotterbeck“, stellte sich der Sheriff vor.
    „Bertelsmann“, sagte der andere. Es war der lange Junge in der blauen Badehose.
    Die beiden gaben sich die Hand.
    „Ihr wißt Bescheid“, meinte Herr Wiesenbügel. „Eisen schneidet Papier, Papier wickelt Stein ein, Stein...“
    „Wir wissen Bescheid“, sagten die beiden Vertrauensschüler.
    „Also!“ Herr Wiesenbügel stellte sich neben Herrn Schubert, und die beiden Herren verkörperten jetzt das Kampfgericht.
    „Auf die Plätze — fertig — los!“
    Die Untertertianer der Eberhard-Ludwig-Schule hüpften

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