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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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bekannt.
    „Wir werden uns in den Feiertagen etwas Neues einfallen lassen“, schlug Herr Schubert vor. „Fröhliche Weihnachten allerseits!“
    „Fröhliche Weihnachten!“ rief es durcheinander, und dann setzte der Sturm auf die Duschen ein.
    Der kleine Ulli Wagner wich Peter Schimmelpfennig nicht von der Seite. Er wollte jedem zeigen, daß er nach wie vor sein Freund war, ganz gleichgültig, was der eine oder andere im Augenblick auch denken mochte.
    „Es ist ja überhaupt nichts verloren“, stellte der kleine Wagner fest und drehte die Dusche an.
    In diesem Augenblick kam der Sheriff zu den beiden. „Ist es erlaubt?“ fragte er und zog schon seine Badehose aus. Dabei sah er Peter Schimmelpfennig so von der Seite an. Aber das brachte ihn auch nicht weiter. Er sagte nur: „Du bist mir eine schöne Pfeife!“ und stellte sich mit unter die Dusche.
    „Tut mit leid, Sheriff“, entschuldigte sich Peter. „Du kannst mir glauben, ich wollte wirklich...“
    „Das ist mir einfach zu hoch“, unterbrach ihn der Sheriff. „Das geht nicht in meinen Kopf!“ Er hielt sein Gesicht direkt unter das heiße Wasser. „Du weißt und du siehst doch, daß alle anderen springen und daß keinem dabei irgend etwas passiert.“
    „Das sage ich mir ja auch die ganze Zeit. Und trotzdem...“ Peter Schimmelpfennig überlegte, daß das eigentlich kein Gesprächsthema für die Dusche sei. Er sagte also nur noch: „Vielleicht kann ich dir das eines Tages noch erklären.“
    „Es gibt eben Dinge zwischen Himmel und Erde...“sagte der kleine Ulli Wagner und ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen, genau wie Studienrat Buttkus, der in der Untertertia Deutsch gab und diese Redewendung immer gebrauchte, wenn er mit irgendeiner Sache nicht ins reine kam.

Die Schimmelpfennigs gucken
in den Christbaum

    Der restliche Vormittag brachte keine Überraschungen mehr. Er stand sozusagen schon mit einem Bein in den Ferien.
    Im Geschichtsunterricht war die Untertertia gerade bei den letzten Staufern angekommen. König Manfred hatte bereits in der Schlacht von Benevent Krone und Leben verloren. Eigentlich wäre nun heute der Knabe Konradin an der Reihe gewesen. Aber Assessor Blumenhagen, der in der Untertertia Geschichte und Geographie gab, hatte kaum das Klassenzimmer betreten, da sagte er auch schon: „Macht mal eure Bücher gleich wieder zu!“
    Augenblicklich waren sämtliche Bücher zugeklappt.
    „Ich will euch heute lieber erzählen, wie die Menschen im zwölften Jahrhundert Weihnachten gefeiert haben. Die Geschichte des jungen Konradin ist ohnehin traurig genug und paßt nicht unter den Christbaum.“
    Die letzte Stunde fand für alle Klassen der Eberhard-Ludwig-Schule gemeinsam statt. Wie immer, wenn die Turnhalle in einen Festsaal verwandelt wurde, waren Kletterstricke und Übungsleitern an die Decke hochgezogen. Wer auf den bereitgestellten Stühlen keinen Platz mehr fand, setzte sich auf eine Fensterbank oder die Sportgeräte, die zur Seite gerückt waren.
    Die Mitglieder des Lehrkörpers saßen in der ersten Reihe vor einem Podium.
    Zuerst sang der Schulchor ein Weihnachtslied. Musiklehrer Habernoll begleitete ihn auf einem Flügel und gab von dort aus mit einem tiefen Senken seines Kopfes die Zeichen zum Einsatz.
    Ein Primaner las anschließend eine Weihnachtslegende vor. Dieser Junge war unter dem Namen „Atze“ bekannt, und man wußte von ihm, daß er später Schauspieler werden wollte. Alle Schüler warteten natürlich gespannt, ob er sich versprechen würde. Aber obgleich in dem Text, den er vorzutragen hatte, mehrere schwierige Fremdwörter vorkamen, geschah nichts dergleichen.
    Als der künftige Schauspieler zu Ende gelesen hatte, wurde freundlich applaudiert. Der Primaner verneigte sich und ging an seinen Platz zurück.
    Oberstudiendirektor Freitag war in der Schule ziemlich gefürchtet. Aber heute hatte er sein Sonntagsgesicht aufgesetzt. Er lächelte gut gelaunt und betonte in seiner Ansprache immer wieder, daß Weihnachten in erster Linie ein fröhliches Fest sei. Doch sei es auch ein Fest der Besinnung und des Friedens. Er drehte Weihnachten sozusagen von einer Seite auf die andere, bis er glaubte, alle Perspektiven beleuchtet zu haben.
    Als aus den leeren Korridoren das Läuten der Schulglocke zu hören war, kam der Direktor zu einem unvermittelten Ende. Er wünschte schließlich allen Lehrern, Schülern und Eltern schöne Festtage, und da er schon dabei war, wünschte er auch gleich ein glückliches und

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