Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
ähnliche Weise. Aber die Unterschiede sind ebenfalls auffallend, und die zwei Sorten von Anhängen werden zu sehr unterschiedlichen Zwecken benutzt: die Beine zum Laufen, die Fühler zum Tasten, Riechen und anderen Wahrnehmungen. Antennapedische Fliegen sind Mißgeburten, bei denen sich die Fühler genauso wie die Beine entwickeln. Oder, anders ausgedrückt: sie sind Fliegen, die keine Fühler, dafür aber ein zusätzliches Paar Beine haben, herausgewachsen aus Öffnungen, wo die Fühler sein sollten. Das ist insofern eine echte Mutation, als sie aus einem Kopierfehler der DNS hervorgeht. Und sie pflanzt sich fort, wenn echte antennapedische Fliegen im Laboratorium gepäppelt und gehütet werden, so daß sie lange genug überleben, um sich überhaupt fortzupflanzen. Im Freien würden sie nicht lange überleben, denn ihre Bewegungen sind plump und ihre lebenswichtigen Sinne vermindert.
Makromutationen kommen also tatsächlich vor. Aber spielen sie eine Rolle in der Evolution? Die sogenannten Saltationisten glauben, daß Makromutationen eine Methode sind, wie große Sprünge in der Evolution in einer einzigen Generation stattfinden können. Richard Goldschmidt, den wir schon in Kapitel 3 kennengelernt haben, war ein echter Saltationist. Wäre der Saltationismus zutreffend, so bräuchten die scheinbaren »Lücken« in den Fossilienaufzeichnungen überhaupt keine Lücken zu sein. Ein Saltationist könnte z. B. glauben, daß der Übergang von dem Australopithecus mit fliehender Stirn zum Homo sapiens mit hoher Stirn in einem einzigen Makromutationsschritt in einer einzigen Generation stattfand. Der Unterschied in der Gestalt zwischen den beiden Arten ist wahrscheinlich geringer als der Unterschied zwischen einer normalen Fruchtfliege und einer antennapedischen Fliege, und es ist theoretisch vorstellbar, daß der erste Homo sapiens ein mißgeborenes Kind - wahrscheinlich ein ausgestoßenes und verfolgtes Kind - zweier normaler Australopithecus-Eltern war.
Es gibt sehr gute Gründe dafür, alle derartigen saltationistischen Evolutionstheorien abzulehnen. Ein recht banaler Grund ist, daß, wenn eine neue Art wirklich in einem einzigen Mutationsschritt entstünde, Angehörige der neuen Art es recht schwer hätten, Paarungspartner zu finden. Ich finde diesen Grund jedoch nicht so eindrucksvoll und interessant wie zwei andere, die in unserer Erörterung der Frage, warum größere Sprünge quer durch das Land der Biomorphe ausgeschlossen werden müssen, schon angedeutet wurden. Den ersten dieser Gründe erwähnte der große Statistiker und Biologe R. A. Fisher, den wir in anderem Zusammenhang schon in früheren Kapiteln kennengelernt haben. Fisher war ein unbeugsamer Gegner aller Formen des Saltationismus, zu einer Zeit, als Saltationismus viel mehr in Mode war als heute, und er benutzte folgende Analogie. Man denke sich, sagte er, ein Mikroskop, das fast, aber nicht völlig fokussiert ist und das ansonsten gut eingestellt ist, um deutlich zu sehen. Wie wahrscheinlich ist es, daß wir, wenn wir am Zustand des Mikroskops zufällig irgend etwas verändern (was einer Mutation entspricht), die Scharfeinstellung und allgemeine Qualität des Bildes verbessern? Fisher sagt:
»Es ist völlig klar, daß bei jeder großen Verstellung nur eine sehr kleine Wahrscheinlichkeit besteht, die Einstellung zu verbessern, während im Fall von Veränderungen, die viel kleiner sind als die kleinsten, die vom Hersteller oder Bediener absichtlich vorgenommen werden, die Chance der Verbesserung fast genau % sein sollte.«
Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß das, was für Fisher »leicht zu sehen« war, enorme Ansprüche an die geistigen Kräfte normaler Naturwissenschaftler stellen konnte, und das gleiche gilt für das, was Fisher für »völlig klar« hält. Nichtsdestoweniger erkennen wir bei weiterem Nachdenken fast immer, daß er recht hatte, und in diesem Fall können wir das ohne allzu viele Schwierigkeiten zu unserer Zufriedenheit nachvollziehen. Erinnern wir uns, daß wir annahmen, das Mikroskop sei zu Beginn fast korrekt eingestellt. Nehmen wir an, die Linse sei geringfügig tiefer als für perfekte Scharfeinstellung notwendig, sagen wir, einen Millimeter zu nah am Objektträger. Wenn wir sie nun ein kleines bißchen, sagen wir, einen zehntel Millimeter, in irgendeine Richtung bewegen, wie groß ist die Chance, daß die Scharfeinstellung besser wird? Nun, wenn wir sie zufällig einen zehntel Millimeter nach unten bewegen, wird die
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