Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
Sie trugen die Idee vor, es könne doch sein, daß die Fossilienunterlagen gar nicht so unvollständig seien, wie man immer angenommen hatte. Es könne doch sein, daß die »Lücken« das widerspiegeln, was tatsächlich geschah, und nicht nur die störenden, aber unvermeidlichen Folgen eines unvollständigen Fossilienmaterials seien. Vielleicht, so vermuteten sie, verlief die Evolution wirklich in gewissem Sinne in plötzlichen Schüben, eingeschoben zwischen lange Zeitspannen der »Stase«, während deren in einer gegebenen Abstammungslinie überhaupt kein evolutionärer Wandel stattfand.
Es gibt einige denkbare Bedeutungen des Begriffes »plötzliche Schübe«, die sie ganz sicher nicht in Betracht zogen. Wir müssen sie aus dem Weg räumen, denn sie sind Gegenstand ernsthafter Mißverständnisse gewesen. Eldredge und Gould würden sicher zugeben, daß einige sehr wichtige Lücken tatsächlich auf Unvollständigkeit in den Fossilienaufzeichnungen zurückzuführen sind. Sehr große Lücken ebenfalls. Beispielsweise sind die Felsschichten aus dem Cambrium, Alter etwa 600 Millionen Jahre, die ältesten, in denen wir einen Großteil der größeren Wirbellosengruppen vorfinden. Und wir finden viele von ihnen bereits in einem fortgeschrittenen Zustand der Evolution, wenn sie das erste Mal auftreten. Es ist so, als wären sie einfach ohne jegliche Evolutionsgeschichte dort hingepflanzt worden. Es erübrigt sich, darauf hinzuweisen, daß dieser Anschein eines plötzlichen Dahinpflanzens die Kreationisten entzückt hat. Die Evolutionisten aller Schulen und Schattierungen sind jedoch davon überzeugt, daß hier in Wirklichkeit eine sehr große Lücke im Fossilienmaterial besteht, bedingt durch die Tatsache, daß aus irgendeinem Grunde sehr wenige Fossilien aus Zeitaltern, die mehr als etwa 600 Millionen Jahre zurückliegen, überdauert haben. Ein guter Grund dafür könnte sein, daß der Körper vieler dieser Tiere nur aus weichen Teilen bestand; sie hatten keine Schalen oder Knochen, die versteinern konnten. Wenn der Leser Kreationist ist, mag er mich für spitzfindig halten. Worauf ich aber hinauswill, ist: Wenn wir über Lücken dieser Größenordnung sprechen, besteht nicht der geringste Unterschied in den Interpretationen von »Intervallisten« und »Kontinuisten«. Beide Denkrichtungen lehnen den sogenannten wissenschaftlichen Kreationismus in gleicher Weise ab und sind sich darin einig, daß die großen Lücken real sind, Ausdruck echter Unvollständigkeit im Fossilienmaterial. Beide Denkrichtungen sind sich einig darin, daß die einzige alternative Erklärung für das plötzliche Erscheinen so zahlreicher komplexer Tiertypen im Zeitalter des Cambrium göttliche Schöpfung wäre, und diese Alternative lehnen beide ab.
Es läßt sich noch eine andere Bedeutung vorstellen für die Aussage, die Evolution verliefe in plötzlichen Sprüngen, die auch nicht der Theorie von Eldredge und Gould entspricht, zumindest nicht der Mehrzahl ihrer Schriften. Es ist denkbar, daß einige der scheinbaren »Lücken« in den Fossilienaufzeichnungen tatsächlich eine plötzliche Veränderung in einer einzigen Generation widerspiegeln. Es ist denkbar, daß es tatsächlich niemals irgendwelche Zwischenstufen gegeben hat, daß große evolutionäre Veränderungen in einer einzigen Generation stattgefunden haben. Es kann ein Sohn geboren werden, der von seinem Vater so verschieden ist, daß er vermutlich in eine andere Art gehört als sein Vater. Er wäre ein Mutant, und die Mutation wäre so groß, daß wir sie als Makromutation bezeichnen würden. Evolutionstheorien, die auf Makromutationen aufbauen, werden als »Saltations«-Theorien bezeichnet, von saltare, dem lateinischen Wort für »springen«. Da die Theorie der unterbrochenen Gleichgewichte häufig mit echter Saltation verwechselt wird, ist es wichtig, die Saltation hier zu erörtern und zu zeigen, warum sie keinen wichtigen Faktor in der Evolution darstellen kann.
Makromutationen - Mutationen mit großer Wirkung - kommen zweifellos vor. Es geht nicht darum, ob sie auftreten, sondern darum, ob sie eine Rolle in der Evolution spielen, ob sie, mit anderen Worten, in den Genpool einer Art aufgenommen werden oder ob sie, im Gegenteil, immer von der natürlichen Auslese ausgesondert werden. Ein berühmtes Beispiel einer Makromutation ist Antennapedia bei den Fruchtfliegen. Bei einem normalen Insekt haben die Fühler etwas mit den Beinen gemeinsam und entwickeln sich im Embryo auf
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