Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
dem Sinne, daß nur eine kleine Veränderung in den embryonalen Instruktionen einen großen augenscheinlichen Effekt auf das erwachsene Tier hatte. Das gleiche gilt für die Antennapedia unter den Fruchtfliegen und für viele der sogenannten homöotischen Mutationen.
Damit ist unser Exkurs über Makromutation und saltatio nistische Evolution abgeschlossen. Er war erforderlich, weil die Theorie der unterbrochenen Gleichgewichte häufig mit saltationistischer Evolution verwechselt wird. Aber es war ein Exkurs, denn die Theorie der unterbrochenen Gleichgewichte ist das Hauptthema dieses Kapitels, und diese Theorie hat in Wahrheit nicht das geringste mit Makromutationen und echten Saltationen zu tun.
Die »Lücken«, über die Eldredge und Gould und die anderen »Intervallisten« reden, haben dann also nichts mit echter Saltation zu tun und sind viel kleinere Lücken als diejenigen, die die Kreationisten in Aufregung versetzen. Darüber hinaus trugen Eldredge und Gould ihre Theorie ursprünglich nicht so radikal und in revolutionärer Weise gegen den gewöhnlichen, »konventionellen« Darwinismus gerichtet vor, wie sie später verkauft wurde - sondern als etwas, das aus dem seit langem akzeptierten, richtig verstandenen konventionellen Darwinismus folgte. Um dieses richtige Verständnis zu gewinnen, brauchen wir, fürchte ich, einen weiteren Exkurs, dieses Mal über die Frage, wie neue Arten entstehen, über den Vorgang also, der als »Speziation« oder »Artbildung« bekannt ist.
Darwins Antwort auf die Frage nach der Entstehung von Arten lautete ganz allgemein, daß Arten von anderen Arten abstammten. Darüber hinaus ist der Stammbaum des Lebens ein sich verzweigendes Gebilde, was bedeutet, daß mehr als eine rezente Art auf eine einzige Vorfahrenart zurückverfolgt werden kann. Löwen und Tiger etwa gehören heute verschiedenen Arten an, aber sie sind beide aus einer einzigen Ahnenart hervorgegangen, wahrscheinlich vor nicht allzu langer Zeit. Diese Ahnenart kann dieselbe gewesen sein wie eine der zwei rezenten Arten; oder sie kann eine dritte rezente Art gewesen sein; oder sie ist vielleicht heute ausgestorben. Gleichermaßen gehören Menschen und Schimpansen heute deutlich verschiedenen Arten an, aber ihre Vorfahren vor wenigen Millionen Jahren gehörten einer einzigen Art an. Artbildung ist der Vorgang, durch den eine einzige Art zu zwei Arten wird, von denen eine dieselbe sein kann wie die ursprüngliche Art.
Der Grund, weshalb Artbildung als ein schwieriges Problem gilt, ist folgender: Alle Angehörigen der hypothetischen einen Ahnenart können sich untereinander paaren; genau das meinen viele Leute mit dem Ausdruck »eine einzige Art«. Daher läuft jedes Mal, wenn eine neue Tochterart zu »keimen« beginnt, dieses Keimen Gefahr, durch die innerartliche Paarung zunichte gemacht zu werden. Wir können uns vorstellen, daß es den hypothetischen Vorfahren der Löwen und den hypothetischen Vorfahren der Tiger nicht gelingt, sich auseinanderzuentwickeln, solange sie sich weiter untereinander paaren und daher weiterhin ähnlich bleiben. Übrigens, man lese nicht zu viel in meine Verwendung von Worten wie »zunichte gemacht« hinein, als ob die Löwen- und Tigervorfahren sich in irgendeiner Weise voneinander zu trennen »wünschten«. Nur sind ja in der Tat Arten im Verlauf der Evolution wirklich voneinander abgewichen, und auf den ersten Blick macht die innerartliche Fortpflanzung es uns schwer zu verstehen, wie diese Abweichung zustande kam. Es scheint gewiß, daß die wichtigste korrekte Antwort auf dieses Problem zugleich die nächstliegende Antwort ist. Es wird kein Problem der innerartlichen Vermischung geben, wenn die urväterlichen Löwen und die urväterlichen Tiger zufällig in unterschiedlichen Teilen der Welt leben, wo sie sich nicht miteinander paaren können. Natürlich zogen sie nicht in verschiedene Kontinente, damit es ihnen möglich würde, voneinander abzuweichen, sie verstanden sich selbst nicht als Löwen- oder Tigervorfahren! Angenommen jedoch, daß sich die eine Ahnenart in jedem Fall über verschiedene Kontinente (sagen wir, Afrika und Asien) verbreitete, so konnten sich die, die zufällig in Afrika waren, nicht länger mit denen paaren, die zufällig in Asien waren, denn sie kamen niemals zusammen. Wenn irgendeine Tendenz dahin wirkte, daß sich die Tiere auf den zwei Kontinenten entweder unter dem Einfluß der natürlichen Auslese oder unter dem Einfluß des Zufalls in unterschiedliche
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