Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
sein, wenn wir keine derart vollständige Übereinstimmung erhalten: eine gewisse Menge an konvergenter Evolution und Koinzidenz war zu erwarten. Aber wir sollten uns Sorgen machen, wenn zwischen den verschiedenen Bäumen nicht ein substantielles Maß an Übereinstimmung besteht. De facto erwiesen sich die fünf Bäume nicht als völlig identisch, aber sie sind in der Tat sehr ähnlich. Alle fünf Moleküle sind sich darin einig, Mensch, Schimpanse und Affen nahe beieinander zu plazieren, aber dann besteht einige Uneinigkeit darüber, welches Tier diesem Haufen am nächsten kommt: Hämoglobin B sagt, es müsse der Hund sein; Fibrinopeptid B sagt, die Ratte; Fibrinopeptid A sagt, es müsse eine Gruppe aus Ratte und Kaninchen sein; Hämoglobin A spricht zugunsten eines Haufens aus Ratte, Kaninchen und Hund.
Wir Menschen besitzen einen definitiven gemeinsamen Vorfahren mit dem Hund, und einen anderen definitiven Vorfahren mit der Ratte. Diese beiden Vorfahren existierten wirklich zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte. Einer von ihnen muß jünger als der andere sein, also muß entweder Hämoglobin B oder Fibrinopeptid B in seiner Schätzung evolutionärer Verwandtschaft unrecht haben. Derartige geringfügige Diskrepanzen sollten uns, wie bereits gesagt, nicht beunruhigen. Wir erwarten eine gewisse Menge an Konvergenz und Koinzidenz. Wenn wir wirklich dem Hund näherstehen, dann haben wir und die Ratte in bezug auf unser Fibrinopeptid B konvergiert. Stehen wir aber wirklich der Ratte näher, so haben wir und der Hund uns in bezug auf unser Hämoglobin B aneinander angenähert. Wir können eine Vorstellung davon bekommen, welche dieser beiden Möglichkeiten wahrscheinlicher ist, wenn wir noch andere Moleküle anschauen. Aber ich werde die Angelegenheit nicht weiter verfolgen: der Hauptbeweis ist erbracht worden.
Ich sagte, daß die Taxonomie eines der am meisten mit Kampfeswut geladenen Gebiete der Biologie ist. Stephen Gould hat es mit dem Motto »Namen und Niedertracht« treffend charakterisiert. Die Taxonomen scheinen sich so leidenschaftlich mit ihren Denkschulen zu identifizieren, wie wir es in der Politik oder in der Wirtschaft, aber gewöhnlich nicht in der akademischen Welt erwarten. Es ist klar, daß sich die Angehörigen einer dieser Schulen der Taxonomie wie eine belagerte Gruppe von Brüdern vorkommen, wie die frühen Christen. Ich erkannte das zum ersten Mal, als ein Taxonom aus meinem Bekanntenkreis mir, bleich vor Bestürzung, die Nachricht weitergab, Soundso (der Name tut nichts zur Sache) sei »zu den Kladisten übergelaufen «.
Die folgende knappe Darstellung taxonomischer Denkschulen wird wahrscheinlich einige Anhänger dieser Schulen verärgern, aber nicht stärker, als sie sich gewöhnlich gegenseitig verärgern, so daß kein ungebührlicher Schaden angerichtet wird. Ihre grundlegende Philosophie teilt die Taxonomen in zwei Hauptlager. Auf der einen Seite stehen alle, die kein Hehl daraus machen und offen erklären, ihr Ziel sei, evolutionäre Verwandtschaften zu entdecken. Für sie (und für mich) ist ein guter taxonomischer Baum tatsächlich ein Stammbaum evolutionärer Verwandtschaft. Wenn man taxonomisch arbeitet, bedient man sich aller verfügbaren Methoden für die bestmögliche Schätzung über die Nähe der Verwandtschaft eines Tieres zu einem anderen. Es ist schwer, einen Namen für diese Taxonomen zu finden, denn der Name, der auf der Hand liegt, »evolutionäre Taxonomen«, ist von einer speziellen Unterschule usurpiert worden. Sie werden manchmal als »Phyletiker« bezeichnet. Bis jetzt habe ich dieses Kapitel vom Standpunkt eines Phyletikers aus geschrieben.
Aber es gibt viele Taxonomen, die anders vorgehen, und das aus recht vernünftigen Gründen. Obwohl sie wahrscheinlich auch eines der letzten Ziele der Taxonomie darin sehen, Entdeckungen über evolutionäre Verwandtschaft zu machen, bestehen sie darauf, die Praxis der Taxonomie von der Theorie - vermutlich der Evolutionstheorie - dessen, was zum Ähnlichkeitsmuster geführt hat, zu trennen. Diese Taxonomen untersuchen Ähnlichkeitsmuster um ihrer selbst willen. Sie beurteilen die Frage, ob das Muster von Ähnlichkeiten von der Evolutionsgeschichte verursacht und ob große Ähnlichkeit durch enge Verwandtschaft bedingt ist, nicht im voraus. Sie ziehen es vor, ihre Taxonomie allein mit Hilfe des Ähnlichkeitsmusters zu konstruieren.
Ein Vorteil dieses Vorgehens ist, daß man bei Zweifeln an der Wahrheit der Evolution das
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