Der Blinde Uhrmacher - Ein neues Plädoyer für den Darwinismus
Bäume steigt steil an. Wenn vier Tiere in Betracht zu ziehen sind, ist die Gesamtzahl möglicher Bäume der Verwandtschaft immer noch zu handhaben, sie beträgt nur 15. Der Computer braucht nicht lange, um herauszufinden, welcher von 15 der sparsamste ist. Wenn aber 20 Tiere in Betracht zu ziehen sind, wird die Zahl möglicher Bäume schätzungsweise 8 200 794 532 637 891 559 375 betragen (siehe Abb. 9). Man hat ausgerechnet, daß der schnellste heute existierende Computer zehn Milliarden Jahre benötigen würde, ungefähr das Alter des Universums, um den sparsamsten Baum für bloße 20 Tiere herauszufinden. Und die Taxonomen wollen häufig Bäume für mehr als 20 Tiere aufstellen.
Obwohl die Molekulartaxonomen die ersten waren, die dieses Problem ernsthaft aufgeworfen haben, sind die explodierend großen Zahlen bereits die ganze Zeit über in der nichtmolekularen Taxonomie präsent gewesen. Nichtmolekulare Taxonomen sind ihm einfach ausgewichen, indem sie intuitive Schätzungen vornahmen. Von all den möglichen Stammbäumen, die man aufstellen könnte, können sehr viele sofort ausgeschlossen werden - etwa alle die Millionen denkbaren Stammbäume, die den Menschen näher am Regenwurm plazieren als am Schimpansen. Die Taxonomen machen sich nicht einmal die Mühe, derart offensichtlich absurde Bäume der Verwandtschaft in Erwägung zu ziehen, sondern befassen sich statt dessen mit den relativ wenigen Bäumen, die ihre bereits bestehenden Vorstellungen nicht allzu drastisch verletzen. Damit haben sie wahrscheinlich recht, auch wenn immer die Gefahr besteht, daß der wirklich sparsamste Baum einer von jenen ist, die ohne Nachdenken abgetan wurden. Auch Computer lassen sich so programmieren, daß sie Abkürzungen nehmen; dadurch mildern sie glücklicherweise das Problem der explodierenden Zahlen.
Abb. 9: Dieser Familienstammbaum ist korrekt. Es gibt 8 200794 532 637 891 559 374 andere Klassifikationen dieser 20 Lebewesen; sie alle sind falsch.
Die molekulare Information ist so reichhaltig, daß wir unsere Taxonomie immer wieder von neuem getrennt für verschiedene Proteine durchführen können. Wir können dann unsere Schlußfolgerungen aus dem Studium eines Moleküls als Prüfstein für die Schlüsse aufgrund des Studiums eines anderen Moleküls benutzen. Wenn wir befürchten, daß die Geschichte eines Proteinmoleküls doch durch Konvergenz entstellt ist, so können wir das unverzüglich überprüfen, indem wir ein anderes Proteinmolekül betrachten. Konvergente Evolution ist ja ein sehr besonderes Zusammentreffen. Und dann haben zufällige Koinzidenzen es an sich, daß sie, selbst wenn sie einmal auftreten, mit viel geringerer Wahrscheinlichkeit ein zweites Mal geschehen. Und noch weniger wahrscheinlich ein drittes Mal. Durch die Untersuchung von immer mehr unterschiedlichen Proteinmolekülen können wir die zufällige Koinzidenz praktisch ausschalten.
Beispielsweise wurden in einer Studie von einer Gruppe neuseeländischer Biologen elf Tiere nicht einmal, sondern fünfmal unabhängig voneinander unter Verwendung von fünf verschiedenen Proteinmolekülen klassifiziert. Die elf Tiere waren Schaf, Rhesusaffe, Pferd, Känguruh, Ratte, Kaninchen, Hund, Schwein, Mensch, Rind und Schimpanse. Zuerst wollte man mit Hilfe eines Proteins einen Baum der Verwandtschaft dieser elf Tiere aufstellen. Und dann feststellen, ob man mit Hilfe eines anderen Eiweißes denselben Verwandtschaftsbaum erhält. Und dann dasselbe mit einem dritten, vierten und fünften Protein durchführen. Theoretisch, etwa wenn die Evolution nicht wahr wäre, könnte jedes der fünf Proteine einen völlig verschiedenen Baum der »Verwandtschaften« ergeben.
Alle fünf Proteinsequenzen standen für alle elf Tiere zum Nachschlagen in der Bibliothek zur Verfügung. Bei elf Tieren ist die Zahl der möglichen zu erwägenden Verwandtschaftsbäume 654 729 075, so daß die üblichen Abkürzungsmethoden angewandt werden mußten. Für jedes der fünf Proteinmoleküle druckte der Computer den sparsamsten Verwandtschaftsbaum aus. So erhalten wir fünf unabhängige beste Schätzungen hinsichtlich des wahren Baums der Verwandtschaft unter diesen elf Tieren. Das sauberste zu erhoffende Resultat war, daß sich die fünf geschätzten Bäume als identisch erweisen würden. Die Wahrscheinlichkeit, dieses Resultat durch schieres Glück zu erzielen, ist in der Tat sehr klein: die Zahl kommt erst nach 30 Nullen hinter dem Komma. Wir sollten nicht überrascht
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