Der Blinde von Sevilla
Tore werden nachts geschlossen. Es ist eine komplizierte Angelegenheit. Und wenn sie nicht seine Komplizin war, hat er sich die Mühe gemacht, sie aufzuspüren, zu ermorden, sich ihrer Leiche auf diese komplizierte Art zu entledigen und … ich glaube, das werden wir feststellen … in sein Leitmotiv zu integrieren.«
»Sein Leitmotiv?«
»Augenlicht, Vision, Illusion, Realität.«
»Glauben Sie, er arbeitet allein?«
»Ich bezweifle nach wie vor, dass Consuelo Jiménez etwas damit zu tun hat. Aber ich verstehe, was Sie gemeint haben, als Sie sagten, wir sollten unsere Ermittlungen auf sie konzentrieren, weil wir ohne sie auf dem offenen Meer treiben würden. Mein Instinkt sagt mir, dass er alleine operiert. Es ist auch nicht vollkommen ausgeschlossen, dass er im Auftrag von Consuelo Jiménez gehandelt und Geschmack an der Arbeit gefunden hat, an seinem Werk. Denn ich glaube, er betrachtet es als eine Art Kunstwerk.«
»Das heißt, Sie glauben, dass er Künstler ist?«
» Er glaubt, dass er Künstler ist – seine Lektionen der Sehschule, seine Lyrik und sein ›Ich habe eine Geschichte zu erzählen‹.«
»Wenn sie nicht seine Komplizin war«, nahm Calderón den Gedanken auf, »sondern bloß in der Wohnung und in seinem Film und er erst später beschlossen hat, sie mit einzubeziehen, wie hat er sie dann aufgespürt?«
»Die Mädchen auf der Alameda haben gesagt, Raúl Jiménez hätte zwei Mal angerufen, weil Eloisa Gómez beim ersten Mal nicht da war und er speziell an ihr interessiert war. Wenn der Mörder sich zu dieser Zeit schon in der Wohnung aufgehalten hat, hat er den Namen gehört. Außerdem hat er Raúl Jiménez’ Handy gestohlen, also hatte er ihre Nummer. Aber hören Sie … das ist interessant. In dem Gedicht, das er uns geschickt hat, gibt es die Zeile: ›Donde se agitan las sombras.‹ Wo sich die Schatten bewegen. Das war ein Satz von Eloisa – darauf müssten Mädchen wie sie achten, hat sie gesagt.«
»Dann hat er mit ihr gesprochen«, sagte Calderón. »Er hat irgendeine Beziehung zu ihr angeknüpft.«
»Und das ist ungewöhnlich zwischen einer Prostituierten und einem Freier.«
»Er hat sie also gekannt.«
»Wenn sie sich privat mit ihm getroffen hat, wundert es mich, dass ihre Freundinnen nichts davon wussten«, sagte Falcón. »Andererseits … ich glaube, wir haben die bei der ersten Befragung falsch angepackt, und wir sind schließlich Polizisten. Sie mögen uns nicht. Sie sind nicht besonders scharf darauf, mit uns zu reden.«
»Glauben Sie, Inspector Jefe«, sagte Calderón beinahe ehrfürchtig, »dass wir es mit einem Serienmörder zu tun haben?«
»Wir haben es definitiv mit einem mehrfachen Mörder zu tun; und die Ermordung von Eloisa Gómez scheint ein Willkürakt gewesen zu sein, obwohl wir sicher feststellen werden, dass sie zu einem Teil seines Themas geworden ist. Es kommt also darauf an, wie man Willkür definiert. Die Planung und Motivation, die in die Ermordung von Raúl Jiménez geflossen sind, fehlen bei dieser Tat. Vorher hatten wir es mit Logik, Methode und Technik zu tun, jetzt mit reiner Inspiration.«
»Sie glauben also, dass er erneut töten wird?«
»Ja … aber sicher nicht wahllos. Auch der nächste Mord wird sich wahrscheinlich in die Struktur seines Werkes einfügen. Und bei Eloisa Gómez passte noch etwas. Außer Donde se agitan las sombras hat sie noch etwas gesagt, was mit dem verdrehten Denken des Mörders korrespondiert. Wenn Sie darüber nachdenken, fristen diese Mädchen ihr karges Dasein an einigen ziemlich dunklen und gefährlichen Orten. Sie sehen täglich Seiten der menschlichen Natur, denen normale Menschen nur selten begegnen. Sie brauchen eine besondere Einsicht, um ihre manchmal gefährlichen Affären zu überleben. Bei manchen Männern lassen diese Mädchen Schwäche zutage treten, und das macht diese Männer wütend. Von außen betrachtet, wirkte Raúl Jiménez wie ein harmloser, reicher Typ, der sich etwas gönnt, aber wir wissen mittlerweile, dass es in seinem Kopf ein paar äußerst abartige Gedankenverbindungen gab.«
»Nun, bei ihm hat Eloisas Instinkt funktioniert«, sagte Calderón. »Aber bei dem Mörder hat er sie komplett im Stich gelassen.«
»Er ist in ihren Kopf eingedrungen. Er hat sie berührt. Sie hat mit ihm geredet. Prostituierte überleben, weil sie ihre Distanz zu ihren Freiern wahren. Intimität ist tödlich.«
»Das ist eine Welt, in der man nicht leben wollte … wo Intimität tödlich ist«, sagte
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