Der Blinde von Sevilla
Hausmädchen die Leiche entdeckt, auch.«
Nicht überzeugt davon, dass ein Mann so kaltblütig sein konnte, biss Ramírez sich auf die Unterlippe und verließ den Raum so zögerlich, als ob ihn weitere Fragen jeden Moment zurückhalten könnten.
Falcón setzte sich an Raúl Jiménez’ Schreibtisch. Alle Schubladen waren abgeschlossen, doch ein Schlüssel von einem auf der Tischplatte liegenden Bund löste das Problem. Nur die beiden obersten Schubladen links und rechts enthielten etwas. Falcón blätterte durch einen Stapel Rechnungen, sämtlich jüngeren Datums. Die Rechnung eines Tierarztes über die Impfung eines Hundes fiel ihm ins Auge – zum einen, weil er keine Spur von einem Hund gesehen hatte, zum anderen jedoch, weil die Praxis seiner Schwester die Rechnung ausgestellt und sie sie persönlich unterschrieben hatte. Er war irritiert, tat es jedoch als weiteren Zufall ab.
Dann widmete er sich der mittleren Schublade, die mehrere leere Schachteln Viagra und vier Videokassetten enthielt, dem Titel nach alles Pornos. Es gab Cara o Culo II , offenbar die Fortsetzung des Streifens, dessen leere Hülle sie auf dem Fernseher gefunden hatten. Ihm fiel auf, dass sie das Video, das Raúl sich angesehen hatte, als er mit der Prostituierten zusammen war, bisher nicht gefunden hatten. Nachdem er die Schublade wieder zugeschoben hatte, begann er eine genaue Inspektion der Fotos an der Wand hinter ihm. Ob Raúl Jiménez wohl seinen Vater gekannt hatte? Schließlich war er ein berühmter Maler gewesen, eine bekannte Figur der High Society von Sevilla, und Jiménez schien Prominente geradezu gesammelt zu haben. Doch während sich Falcón von der Mitte zu den Rändern der Ausstellung vorarbeitete, erkannte er, dass es sich um eine Sammlung von Prominenten anderer Ordnung handelte. Zum Beispiel Carlos Lozano, den Moderator von El Precio Justo , Juan António Ruíz, Moderator von Euromillón , lauter Fernsehgesichter, keine Schriftsteller, Maler, Dichter oder Theaterdirektoren. Keine anonymen Intellektuellen. Dies war das oberflächliche Gesicht Spaniens, die Hola! -Meute. Und wenn nicht die, dann war es die Bourgeoisie, Polizisten, Juristen, Funktionäre, die Raúl Jiménez das Leben leichter hatten machen können. Glamour und gut geschmierte Beziehungen.
»Haben Sie gefunden, wen Sie suchen?«, fragte Señora Jiménez hinter ihm.
Sie hatte ihren Mantel abgelegt, trug eine schwarze Strickjacke und lehnte an einem der Stühle. Obwohl sie ihr Makeup erneuert hatte, waren ihren Augen hellrot gerändert.
»Tut mir Leid, dass Sie das gesehen haben«, sagte er und wies mit dem Kopf auf den Fernseher.
»Man hatte mich gewarnt«, erwiderte sie, zog eine Packung Marlboro Lights aus der Tasche ihrer Strickjacke und zündete sich mit einem Einwegfeuerzeug eine Zigarette an, bevor sie die Schachtel auf dem Tisch umdrehte und ihm ebenfalls eine anbot. Falcón schüttelte den Kopf. Er war dieses unauffällige Zeitschinden, dieses rituelle Taxieren gewohnt und hatte nichts dagegen, weil es auch ihm Zeit verschaffte.
Er sah eine Frau etwa im selben Alter wie er selbst und gut, vielleicht zu gut gekleidet. Sie trug eine Menge Schmuck an den Fingern, deren Nägel zu lang und zu pink waren. An ihren Ohrläppchen drängten sich Ohrringe, die unter dem blonden Helm ihres Haares blitzten. Auch für jemanden, der gerade sein Make-up aufgefrischt hatte, wirkte sie zu stark geschminkt. Die Strickjacke war das einzig Schlichte an ihr. Das schwarze Kleid wäre angemessen gewesen, hätte es nicht einen Spitzensaum gehabt, bei dem man unpassenderweise eher Sex als Trauer assoziierte. Sie hatte breite Schultern, einen festen Busen und im Ganzen einen üppigen Körper ohne ein überflüssiges Gramm Fett. Die Art, wie ihre Halsmuskeln sich um ihren Kehlkopf spannten und die Wadenmuskeln sich unter ihren schwarzen Strümpfen abzeichneten, strahlte eine Fitness-Studiogestählte Disziplin aus. Sie war das, was die Engländer stattlich nannten.
Sie wiederum sah sich einem Mann in einem perfekt geschnittenen Anzug mit vollem, vorzeitig ergrautem Haar gegenüber, das er, so wie sie ihn einschätzte, nie schwarz nachfärben lassen würde. Seine fast pedantisch zugeschnürten Schuhe ließen vermuten, dass er auch sonst eher zugeknöpft war. Das Einstecktuch in seiner Brusttasche blieb wahrscheinlich immer unbenutzt an seinem Platz. Sie stellte sich vor, dass er eine Menge Krawatten hatte, die er ständig trug, auch an Wochenenden, möglicherweise sogar im
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