Der Blinde von Sevilla
Jefe, die, wie Sie wahrscheinlich wissen, nur selten irgendetwas ernst nehmen. Wir haben drei Leute verloren, bevor sie es begriffen hatten.«
»Ich bin selbst aus Sevilla.«
»Dann müssen Sie lange fort gewesen sein, um sich so viel … Ernst und Schwere anzueignen.«
»Ich war zwölf Jahre in Barcelona und jeweils vier in Saragossa und Madrid, bevor ich hierher zurückgekommen bin.«
»Das klingt wie eine Degradierung.«
»Mein Vater war krank. Ich habe um die Versetzung gebeten, um in seiner Nähe zu sein.«
»Hat er sich wieder erholt?«
»Nein. Er hat es nicht mehr bis ins neue Jahrtausend geschafft.«
»Wir sind uns doch schon einmal begegnet, Inspector Jefe«, sagte sie und drückte die Zigarette aus.
»Dann kann ich mich nicht mehr daran erinnern.«
»Auf der Beerdigung Ihres Vaters. Wir reden doch von Francisco Falcón.«
»Vorhin konnten Sie es nicht glauben«, erwiderte er und dachte: Mal sehen, wie das unseren Gesprächston verändert.
»Haben Sie ihn auf den Fotos gesucht?«, fragte sie, und er nickte. »Dort würden Sie ihn nicht finden. Er war kein Prominenter nach Raúls Geschmack. Ist nie in eines der Restaurants gekommen. Ich bezweifle, dass sie sich überhaupt je begegnet sind. Ich hingegen kannte ihn und war deshalb auf der Beerdigung. Schließlich besitze ich drei seiner Gemälde.«
Er stellte sich seinen Vater mit Consuelo Jiménez vor. Der Künstler hatte attraktive Frauen gemocht, vor allem wenn sie seine blöden Gemälde gekauft hatten … aber diese? Vielleicht hätte sie ihn interessiert. Ihre auffällige, leicht vulgäre Art, sich zu kleiden, in Kombination mit ihrer rasiermesserscharfen Zunge und einer starken Intuition. Die übliche Meute, die seine Gemälde kaufte, versuchte immer, etwas »Intelligentes« darüber zu sagen, obwohl es nichts Intelligentes zu sehen gab. Ihr würde etwas anderes eingefallen sein, vielleicht eine persönliche Beobachtung, womöglich sogar eine Nebensächlichkeit, die die meisten Menschen im einschüchternden Widerschein seiner enormen Berühmtheit nie zu äußern gewagt hätten. Ja. Und sein Vater wäre darauf angesprungen. Garantiert.
»Sie waren also komplett mit den Geschäftsangelegenheiten Ihres Mannes vertraut?«, fragte er.
»Was ist mit dem Haus in der Calle Bailén geschehen?«
»Ich wohne darin. Und Sie würden auch wissen, wenn Ihr Mann irgendwelche Feinde hätte?«
»Allein?«
»Genau wie er«, erwiderte Falcón. »Ihr Mann … muss doch auf seinem Weg nach oben einigen Leuten auf die Füße getreten haben. Es gibt dort draußen wahrscheinlich Menschen, die …«
»Ja, es gibt dort draußen Menschen, die ihn mit Freuden tot sehen würden, vor allem die, die er korrumpiert hat und die jetzt von der Last ihrer Verpflichtung befreit sind.«
Abschätzig wies sie mit einem Finger auf die Funktionärsecke der Fotogalerie.
»Wenn Sie etwas wissen … wäre das hilfreich.«
»Beachten Sie mich gar nicht. War nicht so ernst gemeint«, sagte sie. »Wenn es Korruption gegeben hätte, hätte ich nicht davon gewusst. Ich habe die Restaurants geführt. Ich habe die Inneneinrichtung entworfen, die Blumengestecke arrangiert und dafür gesorgt, dass unsere Küche von allerbester Qualität ist. Aber wie Sie sich wahrscheinlich vorstellen können, auch ohne meinen Mann zu kennen, bin ich weder in Kontakt mit auch nur einer einzigen Peseta echten Geldes gekommen, noch mit irgendwelchen juristischen oder sonstigen Mächten, die Raúl die Baugenehmigungen und Lizenzen erteilt und dafür gesorgt haben, dass es keine … unvorhergesehen Umstände gab.«
»Es ist also möglich, dass …«
»Sehr unwahrscheinlich, Inspector Jefe. Wenn in der oberen Abteilung irgendwas schief läuft, erreicht der Gestank in der Regel schnell eines der Restaurants, und ich habe nichts derart übel Riechendes wahrgenommen.«
Falcón entschied, dass er der Frau lange genug ihren Freiraum gelassen hatte. Es war an der Zeit, dass sie begriff, was hier passiert war. Zeit, dass sie aufhörte, das Ganze wie etwas zu betrachten, das sie nicht betraf.
»Die Leiche Ihres Mannes wird zurzeit obduziert. Irgendwann werden wir zum Instituto Anatómico Forense gehen müssen, damit Sie ihn identifizieren. Dann werden Sie selbst sehen, dass der Mord an Ihrem Mann sehr ungewöhnlich war. Ungewöhnlicher als alles, was ich je in meiner Karriere erlebt habe.«
»Ich habe die kleine Inszenierung des Mörders selbst gesehen, Inspector Jefe. Um eine Familie derart auszuspionieren,
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