Der Blinde von Sevilla
diese Filme, Inspector …«, sagte er, weil ihm der Name noch immer nicht einfallen wollte. »Und ich möchte, dass Sie dabei Ihre Fantasie benutzen. Ich möchte, dass Sie darüber nachdenken, wer die Kamera in der Hand hatte und in was für einem geistigen Zustand er sich damals befand.«
»Ja, Inspector Jefe«, sagte Pérez. »Aber Sie haben mir doch immer erklärt, dass ich die Fakten nur berichten und nicht interpretieren soll.«
»Tun Sie Ihr Bestes«, sagte Falcón einfach und ging.
Er versuchte, eine Orfidal trocken zu schlucken, doch sie blieb an seinem Gaumen kleben, und er musste zur Toilette gehen und einen Schluck Wasser trinken. Als er sich mit einem feuchten Papierhandtuch sein heißes Gesicht kühlte, stellte er erschrocken fest, dass er seine eigenen Augen im Spiegel nicht mehr erkannte. Diese rot geränderten, glasigen, tief in ihren Höhlen liegenden Dinger, die in seinem Schädel zuckten, waren die Augen eines anderen. Er verlor seine Autorität. Niemand würde diese Augen respektieren.
Er trat aus der Jefatura in die kühle Abendluft, fuhr nach Hause und ging zu Fuß zu Dr. Alicia Aguados kleinem Haus in der Calle Vidrio, wo er kurz vor seinem Termin um zehn Uhr eintraf. Nervös wie ein Schauspieler vor einem Vorsprechtermin lief er auf dem Bürgersteig hin und her, bis er es nicht mehr aushielt und klingelte. Sie ließ ihn herein und führte ihn eine dunkle Treppe hinauf ins Licht.
Falcón bemerkte erleichtert, dass die hellblauen Wände in ihrem Behandlungszimmer kahl waren und auch ansonsten kein Zierrat herumstand. Die einzigen Möbel waren eine Couch und ein zweisitziges, S-förmiges Sofa.
Der Raum war schmal und das ganze Haus wirkte so klein und übersichtlich, dass ihm sein eigenes im Vergleich dazu geradezu absurd geräumig und chaotisch erschien. Hier lebte offenbar ein gut organisierter und ausgeglichener Verstand, während sein eigener ausufernder, höhlenartiger, mehrstöckiger, barock-byzantinischer Irrsinn mit seinen zahllosen Zimmern und Balkonen ihm wie eine mit Brettern vernagelte Anstalt vorkam, in der sich ein einziger Insasse versteckt hatte …
Alicia Aguado hatte kurze schwarze Haare und ein blasses, vollkommen ungeschminktes Gesicht. Sie streckte ihre Hand aus, ohne ihn direkt anzusehen. Als ihre Hände sich berührten, sagte sie:
»Dr. Valera hat Ihnen nicht erzählt, dass ich halb blind bin«, sagte sie.
»Er hat mir nur versichert, dass Sie sich garantiert nicht für Kunst interessieren.«
»Ich wünschte, ich könnte es, aber ich habe diese Sehschwäche, seit ich zwölf bin.«
»Was für eine Sehschwäche?«
»Retinis pigmentosa.«
»Nie gehört«, sagte Falcón.
»Ich habe abnormale Pigmentzellen, die sich aus irgendeinem undefinierbaren Grund in Klumpen auf meiner Netzhaut verkleben«, erklärte sie. »Das erste Symptom ist Nachtblindheit, und irgendwann werde ich vollkommen blind sein.«
Dieser Wortwechsel lähmte Falcón. Er hielt ihre Hand gefasst, bis sie sie ihm langsam entzog und auf das zweisitzige Sofa wies.
»Ich muss Ihnen ein paar Dinge über meine Methode erklären«, sagte sie und setzte sich neben ihn, sodass sie ihm auf dem speziell entworfenen Sofa direkt in die Augen sah. »Ich kann Ihr Gesicht nur ungenau erkennen, und das, wo wir doch so viel durch unsere Mimik kommunizieren. Ich jedoch muss Ihre Gefühle auf eine andere Art registrieren. Meine Methode ist vergleichbar mit der chinesischer Ärzte, die sich allein auf das Fühlen des Pulses verlassen. Das heißt, wir sitzen auf diesem seltsamen Sofa, Sie legen Ihren Arm in die Mitte, ich fasse Ihr Handgelenk, und Sie reden. Ihre Stimme wird von einem in der Lehne eingebauten Kassettenrekorder aufgenommen. Fühlen Sie sich damit wohl?«
Falcón nickte, eingelullt von der ruhigen Autorität dieser Frau, ihrem friedlichen Gesicht und ihren halb blinden grünen Augen.
»Es ist Teil meiner Methode, dass ich mich nur in Ausnahmefällen in unsere Unterhaltung einschalten werde. Grundsätzlich sprechen Sie und ich höre zu. Ich werde höchstens versuchen, Ihre Gedanken in eine bestimmte Richtung zu lenken oder Ihnen ein Stichwort zu geben, wenn Sie in einer Sackgasse gelandet sind. Und ich werde Ihnen helfen, einen Anfang zu finden.«
Sie schaltete das Aufnahmegerät in der Lehne ein und fasste Falcóns Handgelenk mit einem geübten, aber sanften Griff.
»Dr. Valera hat mir erzählt, dass Sie unter Stresssymptomen leiden. Und ich spüre, dass Sie jetzt nervös sind. Laut Dr. Valera hat
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